Im Laufe der vergangenen zwei Jahre haben verschiedene leitende Amtsträger der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage maßgebliche Reden über verschiedene Aspekte der Religionsfreiheit gehalten – was sie bedeutet, was sie umfasst, welchen Gefahren sie ausgesetzt ist und weshalb sie für alle freien Menschen so bedeutsam ist. Elder Dallin H. Oaks vom Kollegium der Zwölf Apostel hat gesagt: "Die Bedeutung der [Religions-]Freiheit wird derzeit heftigst debattiert. Das Ergebnis dieser Debatte hat Auswirkungen von ewiger Bedeutung." Und Elder Quentin L. Cook, ebenfalls ein Apostel, ersuchte Universitätsabsolventen, "sich mit Andersgläubigen zusammenzutun“ und "für Religionsfreiheit und Sittlichkeit" einzutreten und sie zu wahren.
Neben diesen Aussagen von Mitgliedern der Kirche Jesu Christi zur Befürwortung der Religionsfreiheit unternehmen auch weitere religiöse Führer und Bürger große Bemühungen. Warum also wird der Religionsfreiheit so viel Beachtung geschenkt? Wozu brauchen sie die Bürger der Vereinigten Staaten überhaupt?
Religionsfreiheit ist deswegen so wichtig, weil unser Land und unsere Gesellschaft so facettenreich und vielfältig sind. In den Vereinigten Staaten hat es von Anbeginn an eine große Vielfalt religiöser Ansichten gegeben. Da es keine alleinige Staatskirche gab (womit mit der 1500-jährigen europäischen Tradition gebrochen wurde) und dank des ständigen, durchmischten Zustroms an Einwanderern ist der religiöse Pluralismus seit jeher ein charakteristisches Merkmal der USA. In ihrem neuen, wachsenden Staat hatten die Amerikaner die Wahl zwischen so vielen Kirchen wie nie zuvor. Sie konnten sich ihre Glaubensgemeinschaft frei aussuchen, sich einer Kirche anschließen (oder eine gründen) und einen Geistlichen ihrer Wahl beauftragen. Es stand ihnen auch frei, sich überhaupt keiner Religion anzuschließen. Dieses gewaltige Aufgebot an Religionen bewies, dass hier eine erfrischende Gewissensfreiheit und Religionsfreiheit herrschte und gedieh. Die Amerikaner duldeten andere Religionen nicht nur, sondern nahmen schließlich die Religionsfreiheit im vollen Maße an. Sie erkannten, dass "die einzige Möglichkeit, wie sie sie für sich erlangen konnten, darin bestand, dass sie sie auch allen anderen gewährten".1
Doch die Durchsetzung der Religionsfreiheit in den Vereinigten Staaten war kein Kinderspiel. Baptisten, Juden, Katholiken und die Anhänger anderer Glaubensgemeinschaften, die alle einmal neu, unbeliebt und in der Minderheit gewesen waren, haben allesamt den Stachel religiöser Verfolgung und gesellschaftlicher Vorurteile verspürt. Doch die Möglichkeit der Existenz einer Gesellschaft, in der unterschiedliche Glaubensrichtungen und -ansichten friedlich nebeneinander bestehen können, ist in den hohen Grundsätzen der Gewissensfreiheit und des geltenden Schutzes der freien Religionsausübung im 1. Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten begründet. Sie bilden das Gerüst, durch das der tatsächliche, der soziale und der rechtliche Rahmen geschaffen wird, in dem der Einzelne und jede Gruppierung ihre unterschiedlichen Glaubensansichten auf sinnvolle Weise leben können, sowohl privat als auch öffentlich. In einer Grundsatzerklärung, die von Gelehrten und Staatsmännern unterschrieben wurde, werden diese Grundsätze hervorgehoben: "Die Paragrafen zur Religionsfreiheit dienen dem Schutz der individuellen Freiheit und stellen gleichzeitig die Bedingungen dar, die das Verhältnis zwischen Religion und öffentlichem Leben regeln. Durch sie wird es möglich, trotz größter Unterschiede zusammenzuleben."2
Doch Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit erfordern mehr, als nur trotz unserer Unterschiede nebeneinander zu leben. Mit diesen großartigen Rechten geht auch eine Verpflichtung einher, die zu ständiger Erneuerung führt. Jeder, der Religionsfreiheit genießt – jeder Einzelne und jede Gruppierung, denen es frei steht, so zu leben, wie es ihnen das Gewissen gebietet – muss allen anderen, vor allem den Schwächsten, wiederum dasselbe Recht gewähren – seien sie nun religiös gesinnt oder nicht. Darin besteht die Verpflichtung. Sie führt zu ständiger Erneuerung, da durch sie aus der "Verschiedenheit eine Kraftquelle für die Nation"3 erwächst.
Diese Grundsätze werden in der Williamsburg Charter ganz hervorragend erläutert. Die Charta, als nationale "Neubestätigung des 1. Zusatzartikels [der Verfassung der Vereinigten Staaten]" angelegt, wurde von staatlichen Würdenträgern (darunter auch zwei ehemalige Präsidenten der Vereinigten Staaten), Vertretern aus dem Bildungsbereich, Firmen, religiösen Gruppen und Angehörigen weiterer Bereiche unterzeichnet. Elder Dallin H. Oaks unterschrieb das Dokument im Namen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. In der Charta werden die entscheidende Bedeutung und moralische Wichtigkeit der Verpflichtungen, die mit der Religionsfreiheit einhergehen, betont. Sie enthält diese prägnante Aussage: "Eine Gesellschaft ist nur in dem Maße gerecht und frei, wie sie [die Religions- und Gewissensfreiheit] der geringsten Minderheiten und der unbeliebtesten Gesellschaftsgruppen achtet."
In aktuellen Studien werden die Vorteile, die der Gesellschaft aus der Religionsfreiheit erwachsen, statistisch ausgedrückt.4 Die Ergebnisse zeigen beispielsweise:
- In einer pluralistischen Gesellschaft ist Religionsfreiheit ein Garant für größere Stabilität. Wo die Religionsfreiheit hingegen eingeschränkt wird, erhöht sich das Gewalttätigkeits- und Konfliktpotenzial.
- Ein hohes Maß an Religionsfreiheit führt zu größerem wirtschaftlichen Wohlstand, besserer Gesundheit, einem geringeren Einkommensgefälle und stabileren demokratischen Strukturen.
- Die Religionsfreiheit steht in direktem Verhältnis zu weiteren Bürger- und Menschenrechten, die der Bevölkerung gewährt werden. Wenn eine Behörde das Bestreben unseres Glaubens und unserer Überzeugungen einschränken kann, dann könnte sie, wie James Madison sagt, auch "all unsere Grundrechte wegfegen", wie etwa die Redefreiheit, die Pressefreiheit und die Versammlungsfreiheit.
Dies sind einige Auswirkungen der Religionsfreiheit, die zu einer gerechten und freien Gesellschaft beitragen, in der Spannungen ausdiskutiert werden und die Menschen trotz größter Unterschiede friedlich zusammenleben können. Das ist der Wesenskern jeder Demokratie.
[1] Siehe Robert Booth Fowler, Allen D. Hertzke, Laura R. Olsen, Kevin R. Den Dulk, Religion and Politics in America, Faith, Culture and Strategic Choices, Seite 6
[2] The Williamsburg Charter, Summary of Principles, 1988
[3] ebd.
[4] Siehe besipielsweise Brian J. Grim und Roger Finke, The Price of Freedom Denied, und die Studie des Hudson Institute's Center for Religious Freedom,