Interview

Ulrich Sander: Helmuth Hübeners Einsatz für Wahrheit und Gerechtigkeit

Gedenkfeier-Helmuth-Hubener-2022
Gedenkfeier-Helmuth-Hubener-2022
Eingang zum Hinrichtungsraum in Berlin-Plötzensee.2022 by Intellectual Reserve, Inc. Alle Rechte vorbehalten.
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Helmuth Hübener war das jüngste Opfer des Volksgerichtshofes. Für seinen Widerstand gegen Hitlers Regime wurde er zum Tode verurteilt und am 27. Oktober 1942 im Alter von nur 17 Jahren hingerichtet. Der Todestag des Gläubigen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage jährt sich 2022 zum achtzigsten Mal.

Im deutschsprachigen Raum hat im Laufe der Jahre niemand so viel über die Geschichte Helmuth Hübeners veröffentlicht wie der Journalist Ulrich Sander. Die Redaktion der Presseseite der Kirche führte ein Gespräch mit ihm.

Herr Sander, wie sind Sie ursprünglich auf die Geschichte von Helmuth Hübener aufmerksam geworden?

Als ich noch zur Schule ging, war eine meiner Lehrerinnen mit einem Journalisten befreundet. Dieser befasste sich auch mit Urteilsschriften des Volksgerichtshofes und anderer Nazi-Gerichte. Die Ergebnisse seiner Recherchen veröffentlichte er in kleinen Broschüren. So erfuhr ich erstmals von Helmuth Hübener und wollte mehr über seine Geschichte herausfinden. Ich selbst war damals 17 oder 18, also etwa so alt wie Helmuth zum Zeitpunkt seines Todes.

Was unternahmen Sie?

Zuerst begab ich mich in Hamburg auf die Suche nach Menschen, die Hübener persönlich kannten. Ich kam in Kontakt mit seinem Lehrer an der Mittelschule, mit dem damaligen Leiter der Gemeinde der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage sowie mit anderen Bekannten und Verwandten, auch mit einem Halbbruder. Karl-Heinz Schnibbe und Rudolf Wobbe, die Hübener bei der Widerstandstätigkeit unterstützten, waren inzwischen nach Utah ausgewandert.

Wie ging es weiter?

Über den damaligen Gemeindeleiter kam ich in Kontakt mit Frau Sommerfeld, einer mütterlichen Freundin Helmuth Hübeners. Ihr schrieb er kurz vor seiner Hinrichtung einen Brief, um sich zu verabschieden. Die Worte des Briefes bewegten sie sehr, sie kannte sie auswendig. Nach und nach brach mein Kontakt mit der Gemeinde ab, da viele derjenigen, die sich noch an Hübener erinnerten, nach Utah auswanderten. Dort kam seine Geschichte eine lange Zeit nicht mehr zur Sprache.

Hier in Deutschland verfasste ich eine Weile jeweils im Januar – anlässlich von Helmuth Hübeners Geburtstag – kleine Gedenkartikel. Einen Beitrag, der Mitte der 60er Jahre im Organ der Postgewerkschaft erschien, griff Günter Grass in seinem Roman „Örtlich betäubt“ auf. So wurde wiederum Prof. Dr. Alan Keele auf die Geschichte aufmerksam, ein Germanist an der Brigham-Young-Universität. Er machte Helmuth Hübener Mitstreiter und andere Zeitzeugen in Utah ausfindig, führte Interviews und veröffentlichte diese. Erst dadurch, also Ende der 60er Jahre, entdeckte Hübeners Kirche wieder ihren Glaubensbruder und sein Schicksal.

Welche Auswirkungen hatte das?

Hübeners Geschichte wurde nicht nur in Salt Lake City bekannt und gewürdigt, sondern insgesamt in den USA. Sie wurde von der US-amerikanischen Schulbuchliteratur aufgegriffen, und zwar viel früher als bei uns in Deutschland. Hier dauerte es länger und ich durfte dabei mithelfen. Nach meiner Einschätzung ist Helmuth Hübener in den USA bekannter als hier. Was Jugendwiderstand gegen den Nationalsozialismus betrifft, beschränken sich beispielsweise Fernsehredaktionen hierzulande meist auf die Beschäftigung mit der Weißen Rose und mit den Edelweißpiraten.

Auch an der Vorbereitung der Namensgebung der Stadtteilschule Helmuth Hübener Schule in Hamburg war ich beteiligt. Der Kontakt mit der Schule besteht fort. Was mir besonders gefällt, ist der Schriftzug, der in Publikationen der Schule immer wieder auftaucht, und der den Namen Helmuth Hübeners mit dem Spruch „Mut üben“ verbindet, nämlich so: Stadtteilschule HelMUTh HÜBENener. Im Jahr 2020 wurde dann auch die Schule der Jugendstrafanstalt in Berlin in Helmuth-Hübener-Schule umbenannt.

Warum wird Helmuth Hübener oft übersehen?

Wenn über ihn berichtet wird, heißt es oft bloß, er habe BBC-Sendungen gehört und die Nachrichten von dort weitergegeben. Ich halte das für falsch oder wenigstens unvollständig. Ja, Helmuth Hübener hat das, was im Radio kam, mitstenografiert und verbreitet. Er hat aber auch selber Gedichte und Texte geschrieben und Betrachtungen angestellt, beispielsweise über das Leben Jugendlicher in Hamburg zu seiner Zeit. Wer seine Flugschriften gelesen hat, weiß das. Diese hatten keine großen Auflagen. Von seinen insgesamt etwa 60 Texten gab es vielleicht 1.000 Exemplare, hergestellt mit einer Schreibmaschine mit Durchschlagpapier.

Aus meiner Sicht wird die eigene geistige Leistung Hübeners zu wenig anerkannt, vor allem aber sein Einsatz und sein Mut. Für Helmuth und seine Freunde war klar: Man kann nicht für Wahrheit und Gerechtigkeit eintreten und gleichzeitig die Obrigkeit machen lassen, was sie will.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Sander.

In diesem Jahr erschien der Dokumentarfilm „Vier gegen Hitler– auf den Spuren der Helmuth-Hübener-Gruppe“, an dessen Entstehung Ulrich Sander beteiligt war.

Band 3 der Reihe „Heilige“ greift seine Geschichte auf. Auch ein kurzes Essay auf der Webseite der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage berichtet über ihn. Helmuth und zwei seiner Mitstreiter gehörten zu besagter Kirche.

Hinweis an Journalisten:Bitte verwenden Sie bei der Berichterstattung über die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage bei deren ersten Nennung den vollständigen Namen der Kirche. Weitere Informationen hierzu im Bereich Name der Kirche.