Gideon Böss ist Schriftsteller und Kolumnist. Der gebürtige Mannheimer und Wahlberliner schrieb unter anderen für Cicero, die Welt, die Welt am Sonntag und den Focus. Er ist u.a. Autor von „Deutschland, deine Götter: Eine Reise zu Kirchen, Tempeln, Hexenhäusern“ und „Schatz, wir werden reich! (vielleicht) - Ein Paar und zwanzig Anläufe zum großen Geld.“ Unter dem Pseudonym Daniel Sand veröffentlichte er den Fantasyroman „Irren ist göttlich“. Für Spiegel Online führte er im Dezember 2018 ein Interview über Veränderungen in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Zu seinem Bibelprojekt stand er der Redaktion unserer Presseseite Rede und Antwort.
Guten Tag, Herr Böss. In Ihrem Erfolgsbuch „Deutschland, deine Götter“ aus dem Jahr 2016 befassten Sie sich mit der religiösen Landschaft in Deutschland. Im Juli haben Sie nun damit begonnen, die Bibel Buch für Buch und Woche für Woche als Fortsetzungsroman zu veröffentlichen. Warum greifen erneut das Thema Glauben auf?
Ich bin ja weiterhin ein interessierter Zaungast des Glaubens. Bei der Bibel fiel mir auf, dass viele der darin geschilderten Ereignisse auch eine komische oder tragikomische Perspektive haben. Auch die wollte ich in meiner Bibelversion hervorheben. Wie seltsam muss sich zum Beispiel Abraham gefühlt haben, als er mit seinem Sohn Isaak auf den Berg hinaufstieg und das Kind ihn fragte, wo eigentlich das Opfertier ist? Nun, mein Sohn, wie soll ich es dir schonend beibringen…
Passt Religion in unsere Zeit?
Meine Vermutung ist, dass Religion in jede Zeit passt. Schließlich greift sie Fragen auf, die viele Menschen beschäftigen und die nur in der Religion oder Philosophie ernsthaft behandelt werden. Der Sozialismus gibt keine Antwort auf den Sinn des Lebens und die liberale Demokratie auch nicht. Man sieht es ja an Deutschland. Die beiden Volkskirchen verlieren Jahr um Jahr hunderttausende Mitglieder. Die sind aber nicht über Nacht zu Atheisten geworden, sondern suchen nun anderswo nach Antworten. Darum gibt es ja diese riesige Esoterikszene und die boomenden Freikirchen.
Haben Sie eine Vermutung, warum die Menschen die Volkskirche verlassen, wenn sie doch weiter gläubig sind?
Das kann ich nicht einschätzen. Aber eine kleine Anekdote hätte ich, die vielleicht in diesem Kontext ganz interessant ist. Ich hatte beide Kirchen kontaktiert, ob sie eine Möglichkeit sehen, auf mein Bibelprojekt hinzuweisen. Beide reagierten erst gar nicht, bevor mir die Katholiken auf weitere Nachfragen hin den dürren Hinwies gönnten, dass meine E-Mail intern weitergeleitet wurde – wo sie offenbar irgendwann den Tod einer jeden nicht beachteten Anfrage starb. Noch erstaunlicher äußerten sich die Protestanten, die meine Anfrage vollkommen überforderte und deswegen nicht wussten, „was da machbar wäre“. Wenn Kirchen mit mehr als 20 Millionen Mitgliedern keinerlei Interesse daran haben, die Beschäftigung mit der Bibel zu fördern, verlieren sie vermutlich zu Recht scharenweise Mitglieder.
Wie kamen Sie darauf, die Geschichten der Bibel als Vorlage für einen Fortsetzungsroman zu verwenden?
Das Projekt „Die Bibel als Fortsetzungsroman“ zu nennen, hat eher etwas damit zu tun, dass ich jede Woche ein weiteres Kapitel vorstelle. Die Betonung liegt dabei also mehr auf Fortsetzung als auf Roman. Da die Bibel selbst ja auch ein Sammelsurium von Texten aus verschiedensten Jahrhunderten ist und eindeutig ohne strengem Schlusslektorat auf den Markt kam, wäre es ohnehin schwierig, einen Roman daraus zu machen.
Bei Ihrer Recherche für Ihr Götter-Buch hatten Sie neben der Bibel auch andere heilige Bücher in der Hand. Warum wollten Sie sich als Schriftsteller näher mit der Bibel beschäftigten und nicht etwa mit der Bhagavad Gita oder anderen Schriften?
Weil kein Buch so mächtig ist wie die Bibel. Ihr Einfluss geht ja weit über den religiösen Rahmen hinaus und hat die westlichen Demokratien und die Menschenrechte entscheidend geprägt. Die Idee etwa, dass jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist und damit gleichwertig, ist ziemlich revolutionär gewesen in einer Zeit, in der oft schon den Menschen im Nachbartal das Menschsein abgesprochen wurde. Dass Christen ihre Hemmung recht bald überwanden, Ebenbilder Gottes zu töten, entwertet die humanistische Idee dahinter nicht. Stattdessen drängt sich für solche Christen der vielleicht klügste Satz der Bibel auf: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen!“ Dieser Satz ist ein Wellenbrecher für jede Form von Heuchelei.
Sind Sie bei Ihrer eingehenden Lektüre biblischer Geschichten auf Unbekanntes und Überraschendes gestoßen?
Was mich immer wieder erstaunt hat, ist, wie knapp bestimmte Ereignisse in der Bibel beschrieben werden, die in der Kulturgeschichte wiederum eine riesige Bedeutung haben. Der Turmbau zu Babel etwa besteht aus nicht mehr als drei oder vier Sätzen. Das war es. Trotzdem ist das eines der berühmtesten Motive der Weltgeschichte geworden. Überhaupt weicht der anfangs sehr knappen Erzählstil der Bibel im Laufe der Zeit einer gewissen Geschwätzigkeit. Schöpfung, Paradies und Sintflut werden eilig abgehandelt, während die Jesus-Geschichte gleich viermal hintereinander erzählt wird. Zum Teil übrigens mit erstaunlichen inhaltlichen Unterschieden zwischen den Evangelisten. Die Polizei könnte jedenfalls mit vier so widersprüchlichen Zeugenaussagen nichts anfangen.
Für die einen ist die Bibel ein wichtiges Werk der Literatur, für die anderen das Wort Gottes. Wie begegnen Sie der von Gläubigen in Schriften, aber auch in Räumen wahrgenommenen Heiligkeit?
Ich bin da neutral. Wenn das von jemanden als heilig empfunden wird, ist das so. Das will ich auch niemandem absprechen. Wenn mir ein Freund sagt, dass seine Freundin die schönste Frau der Welt ist, widerspreche ich auch nicht. Subjektiv darf jeder glauben, was er will. Schwierig wird es erst, wenn man versucht, anderen diesen subjektiven Eindruck als objektiven Fakt aufzuzwingen.
In ihrem allgemeinen Handbuch rät die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage davon ab, das Buch Mormon „in geläufiges oder modernes Englisch umzuschreiben“ (Englisch ist die verfügbare Ausgangssprache). Empfohlen wird außerdem, eine verlässliche Bibelübersetzung zu verwenden. Ihr Bibelprojekt stellt offenkundig keine alternative Übersetzung dar, stattdessen erzählen Sie die Inhalte der Bibel in Romanform nach. Welchen Gewinn verspricht das Lesen Ihres Romans für Heilige der Letzten Tage oder allgemeiner für Christen?
Mein Ziel ist es, dass die Leser eine möglichst kurzweilige Lektüre vor sich haben, die ihnen Spaß macht und ihnen zugleich die Ereignisse der Bibel näherbringt. Es gab bisher keinen Versuch, die Bibel auf diese Weise zu interpretieren und darum war es für mich reizvoll, es auszuprobieren. Ich merke an den Reaktionen von sowohl religiösen als auch nichtreligiösen Lesern, dass dieser Ansatz erfreulicherweise gut ankommt.
Für das Götter-Buch haben Sie 26 verschiedene religiöse Gemeinschaften besucht. Was kommt Ihnen bezüglich ihrer Begegnung mit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage zuerst in den Sinn?
Dass es angenehme Begegnungen mit Menschen waren, die ihren Glauben ernst nahmen, ohne Widerspruch als Provokation zu empfinden. Mir haben die Treffen darum immer Spaß gemacht. Auch deswegen wünsche ich übrigens viel Glück beim Versuch, den etablierten, aber falschen Namen Mormonen in der öffentlichen Wahrnehmung durch den korrekten, aber wahnsinnig sperrigen Namen Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage zu ersetzen. Ich denke, selbst Sisyphus wird froh sein, einfach nur einen Stein den Hügel raufschleppen zu müssen, wenn er von dieser Herausforderung hört.
Danke, Herr Böss. Der biblische Prophet Daniel spricht von einem Stein, der sich „ohne Zutun einer Menschenhand“ löst und losrollt. Wie bei allen anderen Unterfangen zählen wir auf Gottes Hilfe. Wir sind gespannt auf Ihr Romankapitel zum Buch Daniel.
Das Interview führte Dr. Ralf Grünke, Pressesprecher der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Deutschland.