Für viele Menschen auf der Welt gibt es kaum etwas, was ihnen mehr bedeutet als ihre Freiheit. Freiheit – die Macht, so zu leben, wie man möchte – ist eines der Kernelemente der Menschenwürde. Diese Freiheit richtig zu nutzen stellt allerdings eine große Verantwortung dar. Nach wie vor ringen wir um Antwort auf die Frage, wie unsere Freiheitsrechte definiert, interpretiert, gefördert und eingeschränkt werden sollten. All jenen Fragen liegt eine der Grundfreiheiten zugrunde: die Religionsfreiheit.
Was ist Religionsfreiheit?
Im Gegensatz zu dem, was gemeinhin angenommen wird, ist Religionsfreiheit nicht einfach nur das Recht, frei zu entscheiden, woran man glaubt und wie man diesem Glauben Ausdruck verleiht – obwohl dies ebenfalls wesentliche Teilaspekte sind. Religionsfreiheit erstreckt sich auch nicht nur auf religiös gesinnte Menschen. Sie ist weitaus tiefgründiger, umfassender und wichtiger, als zumeist angenommen wird.
Im grundlegendsten Sinne bedeutet Religionsfreiheit, dass der Mensch das Recht hat, seinen innersten Überzeugungen gemäß zu denken, zu reden und zu handeln – so, wie es ihm das Gewissen gebietet. Religionsfreiheit wird seit jeher im Zusammenhang mit Gewissensfreiheit gesehen – der Freiheit, sich eigene ethische Überzeugungen anzueignen, sie zu vertreten und dementsprechend zu handeln. Zur Religionsfreiheit gehört demnach das Recht, religiöse Ansichten zu haben und auszuüben. Sie geht jedoch noch weit darüber hinaus, weil sie die Handlungsfreiheit mit einschließt – und damit auch das Recht auf freie Rede, das Recht, den eigenen sittlichen Grundsätzen gemäß zu leben und sich in der Gesellschaft für die eigene Sichtweise des sittlichen Ideals einzusetzen. Aus der umfassenden Bedeutung der Religionsfreiheit und aus ihrer Beziehung zur Gewissensfreiheit wird ersichtlich, warum Religionsfreiheit für jeden eine Rolle spielt, und nicht nur für Gläubige.
In den Vereinigten Staaten von Amerika ist die Religionsfreiheit seit jeher von großer Bedeutung. Sie schlug sich in der Verfassung des Landes nieder und wurde von den Gründern der Nation hoch geschätzt. Die Religionsfreiheit ist als wichtigstes Recht in der Bill of Rights der Vereinigten Staaten aufgeführt. Sie wird dort von allen Grundrechten als erstes genannt und daher oft auch als "erste Freiheit" bezeichnet. Der Grund hierfür besteht darin, dass weitere Freiheiten des Menschen, wie etwa die Redefreiheit, durch sie erst möglich und geschützt werden. Tatsächlich hat sich die Kultur der Freiheit und der friedlichen Demokratie in den Vereinigten Staaten größtenteils aus der hohen Achtung vor der Religionsfreiheit heraus entwickelt. Wie die Vereinigten Staaten erkennen inzwischen auch viele andere Nationen diese äußerst wichtige Freiheit an und haben sie zu einer der Grundfesten ihres Staates gemacht. Die Vereinten Nationen haben in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) und in vielen anderen darauf folgenden Abkommen dargelegt, dass die Religionsfreiheit ein "grundlegendes Menschenrecht" ist.
Religionsfreiheit und Gesellschaft
Dieses grundlegende Recht ist in unserer heutigen facettenreichen Gesellschaft, in der die Rechte und Interessen verschiedener Gruppen oft miteinander in Konflikt geraten, unabdingbar. Da das Potenzial für Feindseligkeit dort am größten ist, wo tiefgreifende Unterschiede vorhanden sind oder wo eine Mehrheit herrscht, ist die Religionsfreiheit von entscheidender Bedeutung. Durch sie können Menschen, die unterschiedliche Auffassungen von existenziellen Fragen haben, friedlich zusammenleben. Wird diese Freiheit wirklich geschätzt, dann wird jede Gruppe und jeder Einzelne, auch der Schwächste, geschützt – sei er religiös gesinnt oder nicht. Wenn Religionsfreiheit herrscht, kann Gewalt eher vermieden und Streit geschlichtet werden.
Schon viele Völker auf der Welt haben miterlebt, welch positive Auswirkungen die Förderung der Religionsfreiheit auf die Gesellschaft hat. Wegen der Untaten religiöser Extremisten ist die Religion in der öffentlichen Meinung zwar gesunken, doch in Gelehrtenkreisen ist bekannt, dass Religion wesentliche positive Folgen – etwa Eintracht und Stabilität – auf die Gesellschaft hat, die ihr einen Platz einräumt. Forschungsergebnisse belegen durchweg, dass sich religiös Gesinnte stärker am politischen Geschehen beteiligen, dass sie großzügigere und bessere Mitmenschen sind. Empirische Daten lassen auch darauf schließen, dass die Bevölkerung eines Landes, in dem Religionsfreiheit herrscht, im Vergleich zu Ländern, wo die Religion unterdrückt oder benachteiligt wird, viele zusätzliche Vorteile genießen, wie etwa ein größeres Ausmaß an weiteren Rechten. Diese Vorteile sind ein weiteres Argument dafür, weshalb Religionsgemeinschaften in einer Gesellschaft ungehindert existieren sollten.1
Wenn Religionsfreiheit herrscht, heißt das nicht, dass andere Rechte oder gesellschaftliche Anliegen deswegen über Bord geworfen werden oder das Gesetz untergraben wird. Die Religionsfreiheit besteht Seite an Seite neben allen anderen rechtmäßigen Anliegen der Gesellschaft. Die Regierung hat die wichtige Aufgabe, die öffentliche Sicherheit zu garantieren und mögliche Widersprüche zwischen den verschiedenen Rechten beizulegen. In den Vereinigten Staaten gilt die Trennung von Kirche und Staat, und das ist gut so. Der sittliche Einfluss der Religion sollte jedoch nicht aus den öffentlichen Belangen unseres Landes ausgeklammert werden. Religionsfreiheit schließt andere Anliegen nicht aus, doch als "erste Freiheit" verdient sie die ihr zustehende Achtung.
Die Mormonen und Religionsfreiheit
Die Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage haben guten Grund, die Religionsfreiheit hoch anzusehen. Aufgrund ihrer Vergangenheit, in der sie teilweise unter religiöser Verfolgung gelitten haben, schätzen die Mormonen die Redefreiheit und das Recht, ihrem Glauben und ihren Ansichten gemäß zu leben, ganz besonders. Tatsächlich ist die Religionsfreiheit für die Mormonen seit jeher von Bedeutung. Der Gründer der Kirche, Joseph Smith, war ein energischer und großzügiger Verfechter dieses Prinzips. Er erkannte, dass Religionsfreiheit nur dann funktionieren konnte, wenn sich alle daran hielten. "[Ich erkläre] angesichts des Himmels ohne Scheu", sagte er, "dass ich gleichermaßen bereit bin, zur Wahrung der Rechte eine Presbyterianers, eines Baptisten oder sonst eines guten Menschen irgendeiner anderen Glaubensgemeinschaft zu sterben. Denn das gleiche Prinzip, das die Rechte der Heiligen der Letzten Tage mit Füßen tritt, tritt auch die Rechte eines Katholiken oder sonst eines Gläubigen mit Füßen."
Auch in einer Siedlung der Mormonen im 19. Jahrhundert hob Smith die Bedeutung der Religionsfreiheit hervor, indem er eine Stadtverordnung erließ, durch die allen Bewohnern der Stadt, ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit, Religionsfreiheit gewährt wurde. Gewissens- und Religionsfreiheit werden in einem Glaubensartikel der Kirche dargelegt, in dem es heißt: "Wir beanspruchen das Recht, den Allmächtigen Gott zu verehren, wie es uns das eigene Gewissen gebietet, und gestehen allen Menschen das gleiche Recht zu, mögen sie verehren, wie oder wo oder was sie wollen."2 Mormonen setzen sich prinzipiell für Religionsfreiheit und deren Unantastbarkeit ein.
Zunehmende Angriffe auf die Religionsfreiheit
In den Vereinigten Staaten befindet sich die Religions- und Gewissensfreiheit nicht in so arger Bedrängnis wie in manchen anderen Gegenden der Welt. Religiöse Menschen sind in den Vereinigten Staaten heutzutage nicht den gewalttätigen Angriffen oder der Nötigung ausgesetzt, wie sie in manch anderen Ländern vorkommen. Dennoch ist die Religions- und Gewissensfreiheit auch in den Vereinigten Staaten gefährdet. Durch gesellschaftliche und rechtliche Veränderungen wird sie auf neue und äußerst problematische Weise bedrängt. Vielen Amerikanern, die dieses Recht seit langem als selbstverständlich hinnehmen, wird sein Wert nun aufs Neue bewusst.
Die Angriffe auf die Religionsfreiheit kommen aus vielen Richtungen. Mit der zunehmenden Befürwortung der Rechte für Homosexuelle drohen der Religionsfreiheit etliche Einschränkungen. Auch Veränderungen im Gesundheitswesen bedrohen die Rechte derer, die bestimmte moralische Anschauungen über den Wert menschlichen Lebens vertreten. Diese und weitere Entwicklungen führen zu Auseinandersetzungen und dazu, dass kirchliche Einrichtungen und Menschen, die sich ihrem Gewissen verpflichtet fühlen, allmählich unter Druck geraten. So droht man beispielsweise in die Art und Weise einzugreifen, wie kirchliche Organisationen Mitarbeiter einstellen oder ihr Eigentum verwalten. Auf kirchliche Universitäten, Schulen und Sozialeinrichtungen wird Zwang ausgeübt. Diese Entwicklung hat auch zur Folge, dass Menschen, die sich an ihre Grundsätze halten, kritisiert werden – seien es Ärzte, Leute aus einem anderen beruflichen Umfeld oder auch Eltern. Anhand dieser und vieler weiterer Fälle wird ersichtlich, wie die Religions- und Gewissensfreiheit langsam, aber sicher untergraben wird. Ebenso bedenklich ist, dass die Rechtsvorschriften, die zum Schutz dieser Freiheitsrechte erlassen werden, oft oberflächlich sind und dieselben nur im engsten Sinne schützen. In vielen Aspekten des öffentlichen Lebens werden Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit in Konflikte verwickelt, die zu ihrer Unterdrückung führen könnten.
Die Anforderungen der Religionsfreiheit
Angesichts der umfassenden Meinungsverschiedenheiten und der Debatten, die mitunter dadurch ausgelöst werden, ist es unbedingt notwendig, dass alle Beteiligten in höflichem Umgangston diese wichtigen Fragen erörtern. Das ist auch deswegen vonnöten, weil die Kennzeichen der Menschenwürde, die mit der Religionsfreiheit verknüpft sind, jedem Menschen das Recht zugestehen, mit Achtung behandelt zu werden und seine Meinung kundzutun. Jede Gruppierung, einschließlich kirchlicher Institutionen und religiös Gesinnter, muss ihre Meinung vernünftig darlegen können, um so zu einer sinnvollen Diskussion beizutragen. Als Staatsbürger müssen wir uns alle stets eines höflichen Umgangstons befleißigen und Geduld, Verständnis und Einfühlungsvermögen für diejenigen aufbringen, die anderer Meinung sind als wir. Wir tragen zu einer wohlwollenden Haltung bei, indem wir sie unseren Mitmenschen entgegenbringen.3
Religions- oder "Gewissensfreiheit" ist seit langem das Fundament der Demokratie. Sie wird schon lange als selbstverständliche Basis hingenommen, doch nun ist sie zu einem Anlass zur Sorge geworden. Es ist notwendig, dass sich alle Amerikaner – und auch die Mitglieder der Kirche – wieder mit dieser Freiheit vertraut machen und hinter ihr stehen. Zu einer freien Gesellschaft, in der Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit hochgehalten werden, gehört, dass sich alle Bürger dafür einsetzen, die Rechte ihrer Mitbürger zu wahren. Es ist für jeden von uns dringend notwendig, dieses grundlegende Menschenrecht und die Eintracht, die sich daraus ergibt, aufrechtzuerhalten.
[1] Siehe Robert D. Putnam und David E. Campbell, American Grace: How Religion Divides and Unites Us (Simon and Schuster, 2010); Brian J. Grim und Roger Finke, The Price of Freedom Denied: Religious Persecution and Conflict in the Twenty-First Century (Cambridge University Press, 2010)
[2] Siehe internationale Presseseite der Kirche, "Selected Beliefs and Statements on Religious Freedom of The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints“
[3] Eine ausführlichere Erläuterung dazu, wie sich die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage für einen höflichen Umgangston im öffentlichen Diskurs einsetzt, befindet sich auf der deutschen Presseseite der Kirche unter dem Titel: "Höflichkeit: Ein ethischer Grundsatz der Mormonen".