Kommentar

Eine Brücke zwischen den Starken und den Schwachen

Zweiter Artikel einer siebenteiligen Reihe über die Religionsfreiheit in aller Welt

Wer profitiert von Religionsfreiheit?

Eine Gesellschaft besteht aus Mehrheiten und Minderheiten. Ob aufgrund eigener Entscheidung oder aufgrund seiner Herkunft - jeder Mensch gehört verschiedenen Gruppen an. Wir führen unser Leben und verfolgen unsere Ziele in religiösen, ethnischen, politischen oder kulturellen Gemeinschaften. Sie alle sind verschieden. Sie alle haben ihren Platz. Aber es haben nicht alle die gleiche Macht. Einige von ihnen sind größer, älter, reicher und sind gesellschaftlich besser eingebunden als andere. Durch diese Unausgewogenheit entsteht ein Kräftemessen zwischen verschiedenen Anschauungen. In einer friedliebenden Gesellschaft stehen die Starken den Schwachen auf gleichem Niveau gegenüber.

Aber manchmal offenbaren sich Spannungen auf drastische Art und Weise.

Laut einem Bericht der Organisation Open Doors, die sich mit religiöser Verfolgung befasst, "haben immer mehr Christen aufgrund ihres Glaubens Leid zu ertragen". In den 50 strengsten Ländern werden über 200 Millionen Christen aufs Schärfste verfolgt. Dem Bericht zufolge werden heute leider in mehr Ländern Christen umgebracht als jemals zuvor. Im Nahen Osten werden Christen aus ihrer angestammten Heimat vertrieben, in Nigeria werden sie ermordet und in Asien werden sie vom wachsenden religiösen Nationalismus an den Rand gedrängt. All dies verschlimmert die weltweite Flüchtlingskrise. "Noch nie zuvor waren so viele Christen auf der Flucht."[1]

Die Verfolgung beschränkt sich jedoch nicht auf Christen. Überall im Nahen Osten werden Muslime von islamischen Kämpfern verfolgt und ums Leben gebracht. Despoten und Terroristen vertreiben wehrlose Minderheiten aus ihrer Heimat. Die Auseinandersetzungen zwischen religiösen Gruppen haben zu einem Kreislauf von Entführungen, Schikanen und Vertreibung geführt.[2] Open Doors zufolge "ist religiöse Verfolgung weltweit eine der Hauptursachen von Zwangsmigration."[3] Mitten in diesem Chaos fliehen auch muslimische Flüchtlinge um ihr Leben. In Myanmar geht die buddhistische Mehrheit hart gegen die kleine muslimische Gemeinschaft der Rohingya vor.[4] In den Vereinigten Staaten haben Angriffe gegen Muslime zugenommen[5] und in Europa haben immer mehr Menschen eine schlechtere Meinung von Muslimen.[6]

Wohl kaum ein anderes Volk in der Geschichte hat aber als weltweit zerstreute Minderheit eine dermaßen weitreichende Verfolgung erlitten wie die Juden. Antisemitismus ist auch heute noch ein Problem. Einem Bericht zufolge gab es 2014 in Kanada, den Vereinigten Staaten und 44 Ländern in Europa und Zentralasien 1883 Angriffe gegen Juden, Synagogen und jüdische Friedhöfe.[7]

Minderheiten haben es nicht leicht.

Religions- und Glaubensfreiheit kann jedoch Abhilfe schaffen. Wie wertvoll ein Recht ist, hängt davon ab, inwieweit es sowohl Mehrheiten als auch Minderheiten zu schützen vermag. Diese Freiheit hat zwei Seiten: Als Gesetz sichert sie die freie Religionsausübung und als soziale Norm fördert sie Respekt gegenüber Unterschieden und Meinungsverschiedenheiten. In dieser Beziehung ist kein Land vollkommen. Wenn wir unsere Glaubensansichten würdevoll vertreten, verbindet Religionsfreiheit uns alle – auch diejenigen, die keiner Religion angehören.

Betrachten wir einmal ein Beispiel aus Kamerun in Westafrika. Nachdem Terroranschläge angedroht wurden, haben sich christliche und muslimische Gemeinden abwechselnd gegenseitig beschützt. Freitags bewachten Christen während der Gebetsversammlung die Moscheen, und sonntags bewachten Muslime während des Gottesdienstes die Kirchen.[8]

Eine solche gegenseitige Hilfe ist wichtig, denn dann tauschen die Mehrheit und die Minderheit oft die Rollen. Was sich heute großer Beliebtheit erfreut, kann morgen schon vergessen sein. Jede Religion erlebt Zeiten des Aufschwungs und Zeiten, in denen sie aus dem Blickfeld verschwindet. Eine kulturelle Gruppe, die heute noch Rechte genießt, kann sie morgen schon verlieren. Macht ist nicht von Dauer. Die Religionsfreiheit, die den Kleinen schützt, ist also der beste Schutz für den Großen. Der Schutz liegt nicht in den Zahlenverhältnissen, sondern in der Gerechtigkeit.

Es hat Folgen, wenn die Ansichten, Bräuche und Hoffnungen von Minderheiten unterdrückt werden. Unausgewogenheit führt zu Instabilität, Feindseligkeit und Spaltungen. Distanzierung schafft Fremde, die dann auf der Suche nach Unterstützung in der Welt umherstreifen. Nach der Norm für Gastfreundschaft, die in der Bibel zu finden ist, sind wir Rechenschaft schuldig, wie wir mit dem Geringsten unter uns umgehen. Und da wir alle in einem fremden Land zu Gast sind, können wir, ohne es zu ahnen, Engel entdecken, wenn wir uns mit einem Fremden anfreunden.[9]

Wenn nur einige wenige die Religionsfreiheit genießen, genießt sie in Wirklichkeit niemand.

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[1] Siehe Open Doors World Watch Report 2017, "The Persecution of Christians and Global Displacement", Seite 3ff.

[2] Siehe Katayoun Kishi und Angelina E. Theodorou, "6 Facts about Religious Hostilities in the Middle East and North Africa", Pew Research Center, 7. Juli 2016

[3] Siehe Open Doors World Watch Report 2017, "The Persecution of Christians and Global Displacement", Seite 3

[4] Human Rights Watch, "Burma: New Wave of Destruction in Rohingya Villages", 21. November 2016

[5] Katayoun Kishi, "Anti-Muslim Assaults Reach 9/11-era Levels, FBI Data Show", Pew Research Center, 21. November 2016

[6] Siehe Richard Wike, Bruce Stokes und Katie Simmons, "Europeans Fear Wave of Refugees Will Mean More Terrorism, Fewer Jobs", Pew Research Center, 11. Juli 2016

[7] Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Bericht über antisemitische Verbrechen im Jahr 2015

[8] Terry Turner, "Christians Protect Mosques on Fri., Muslims Guard Churches on Sunday", Good News Network, 29. Januar 2016

[9] Siehe Hebräer 13:2

Hinweis an Journalisten:Bitte verwenden Sie bei der Berichterstattung über die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage bei deren ersten Nennung den vollständigen Namen der Kirche. Weitere Informationen hierzu im Bereich Name der Kirche.