Wenn sich im Grunde alle Christen über eines einig sind, dann wohl darüber, dass Jesus Christus die Kinder von ganzem Herzen lieb hat. Sowohl Begebenheiten in der Bibel als auch im Buch Mormon zeigen seine Liebe für die "Kleinen" auf, ja, wir lesen, dass er sie segnete und seinen Jüngern verbot, sie von ihm fernzuhalten.
In der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage halten wir die Familie hoch, und den Kindern gilt unser besonderes Augenmerk. Als jedoch vergangene Woche die Führer der Kirche in einem Schreiben Weisungen erließen, wie man mit dem heiklen Thema der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft umgehen soll, führte dies zu einem Ansturm an Nachfragen seitens der Mitglieder der Kirche. Bei den meisten Fragen ging es um Kinder.
Da das Schreiben Anweisungen an die Führer der Kirche in aller Welt erhielt und es sich um keine Ankündigung an die gesamte Kirche über LDS.org oder die Öffentlichkeitsabteilung der Kirche handelte, fehlten auf den jeweiligen Websites der Kirche nähere Informationen sowie der Kontext. Aufgrund dessen hatten viele Mitglieder der Kirche Fragen, da die meisten aus den Überschriften in den Medien herausgelesen hatten, bei den Anweisungen gehe es darum, dass Kinder abgelehnt werden und Neugeborene keinen Namen mehr erhalten dürfen. Verständlicherweise wollten die Mitglieder konkret wissen, ob sich die angekündigte Änderung auf ihre Lieben auswirken werde.
Dieser Vorfall zeigt deutlich auf, wie gefährlich es ist, aufgrund von unvollständigen Nachrichten, Tweets und Facebook-Beiträgen Schlussfolgerungen zu ziehen, wenn Kontext und nähere Informationen fehlen. Die Kirche agierte schnell und sprach in einem Video-Interview mit Elder D. Todd Christofferson von dem Kollegium der Zwölf Apostel viele dieser Fragen an. Bis Sonntagabend hatten Millionen Zuschauer das Interview sehen können.
Ein Schreiben ist auf der Hauptwebsite der Kirche, LDS.org, veröffentlicht worden (auf Englisch). Darin wird erläutert, was die Änderungen im Handbuch bedeuten.
Ein Problem besteht darin, dass viele gar nicht begreifen, was das Handbuch eigentlich ist, nämlich eine Anleitung für die Laiengeistlichen der 30.000 Gemeinden in aller Welt. Unter anderem dient das Handbuch den Bischöfen und weiteren Führungsbeamten als vorgegebener Anhaltspunkt, wenn eine Entscheidung zu fällen ist. Es handelt sich um Richtlinien und Anweisungen zur Vorgehensweise, daher gibt es nicht immer Kontext und Erklärungen. Den Führern der Kirche wird ans Herz gelegt, sich beim Gebrauch des Handbuchs vom Heiligen Geist führen zu lassen. Sie entwickeln in den jeweiligen Umständen Mitgefühl durch den Geist, durch die Lehren und das Beispiel Jesu Christi in den heiligen Schriften, durch die Ansprachen und Ausführungen der Generalautoritäten sowie durch eigene Erfahrungen, wenn sie nämlich solchen Situationen selbst ausgesetzt sind. Kein Handbuch liefert Antwort auf jede Frage und behandelt jede denkbare Situation.
Diese Kernpunkte zeigen den Kontext der neuen Änderungen und Zusätze im Handbuch der Führungsbeamten auf:
- Es ist keine Sünde, sich zu jemandem vom gleichen Geschlecht hingezogen zu fühlen. Einige treue Mitglieder der Kirche haben solche Gefühle, sind jedoch in der Kirche aktiv und befolgen die Gebote des Herrn. Sie gehen auf Mission und in den Tempel. Die Kirche legt den Mitgliedern ans Herz, diesen Brüdern und Schwestern in ihrem treuen Dienst in der Kirche zur Seite zu stehen.
- Die Lehre, dass eine sexuelle Beziehung zwischen Menschen des gleichen Geschlechts sündhaft ist, bleibt unverändert.
- Neue Angaben im Handbuch betreffen die seltene, spezielle Situation, wenn ein gleichgeschlechtliches Paar Kinder hat.
Da die gleichgeschlechtliche Ehe nun in den Vereinigten Staaten und weiteren Ländern gesetzlich zugelassen ist, sah sich die Kirche gedrängt, diese Art der Ehe im Handbuch anzusprechen und so eine klare Position zu beziehen und dafür zu sorgen, dass die jeweiligen Führungsbeamten vor Ort einheitlich mit dem Thema umgehen. Insbesondere sorgen sich die Führer der Kirche um Kinder – ob es sich um das leibliche Kind eines Partners handelt, ein Adoptivkind oder ein Kind aus einer künstlichen Befruchtung. Tatsächlich wünschen nur sehr wenige gleichgeschlechtliche Ehepaare, dass bei ihrem Kind eine Namensgebung und Kindessegnung vollzogen wird, da dies dazu führt, dass ein Mitgliedsschein für das Kind angelegt wird. Die Führer der Kirche wollen jedoch vermeiden, dass kleine Kinder ins Kreuzfeuer zwischen dem Leben der gleichgeschlechtlichen Eltern und den Lehren und Veranstaltungen der Kirche geraten.
In anderen familiären Umständen werden ähnlich vorsichtige Maßnahmen getroffen. Beispielsweise wird kein Minderjähriger ohne das Einverständnis der Eltern getauft, auch wenn er sich seinen Freunden zugehörig fühlt, die der Kirche angehören. Jemand, der verheiratet ist, darf nur getauft werden, wenn der Ehepartner zustimmt. In den meisten muslimischen Ländern und in Israel, wo die Situation in der Familie oft heikel ist, dürfen Missionare das Evangelium nicht formell predigen. In einigen Ländern Afrikas und weiteren Ländern, wo die Mehrehe praktiziert wird, muss jeder, dessen Eltern polygam leben, eine Sondergenehmigung für die Taufe erhalten, und zwar in dem Bewusstsein, dass die Bräuche, die in seiner Kultur als akzeptabel gelten, nicht mit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage vereinbar sind.
Natürlich kommt es immer wieder zu Situationen, die außerhalb der üblichen Richtlinien und Bestimmungen fallen. Deswegen wenden sich die jeweiligen Führungsbeamten bei bestimmten Fällen mit ihren Fragen an ranghöhere Führer.
Die überwiegende Mehrheit der Mitglieder hat begriffen, dass sich in Bezug auf Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transsexuelle die Lehre nicht geändert hat. Die Lehre der Kirche entspricht dem Leben und den Lehren Jesu Christi. Viele neigen heutzutage zu der Meinung, die Lehre Jesu Christi in Bezug auf Nächstenliebe entspräche nicht seiner Lehre in Bezug auf Gottes Gebote. Selbstverständlich enthielt der Heiland seine Liebe niemandem vor – was er am Kreuz sagte, veranschaulicht dies ja beispielhaft. Dennoch zeigte er auch seine Liebe, wenn er klare Lehre vermittelte und sich entschieden gegen die Sünde aussprach, was für diejenigen, die ihn ablehnten, manchmal schwer zu ertragen war. Dies ist auch der heutige Standpunkt der Führer der Kirche: Sie beziehen eine klare Position zur Lehre dazu, was richtig und was falsch ist, aber sie bringen allen Menschen ihre Liebe entgegen. Wer als Mitglied der Kirche an neuzeitliche Propheten und Apostel glaubt, versteht und würdigt die Absichten ihrer Führer, die Kirche in der komplizierten, vielschichtigen Gesellschaft und im rasanten Umbruch der sozialen Umstände zu lenken und zu leiten.