Vielen ist Gail Halvorsen noch gut als „Rosinenbomber“ bekannt. Am Samstag, den 8. Juni, würdigte seine Tochter Denise Williams das Vermächtnis ihres verstorbenen Vaters, als sie ihn auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA), der bedeutendsten, alle zwei Jahre stattfindenden Fachmesse der Luft- und Raumfahrtindustrie in der Europäischen Union, bei einer Podiumsdiskussion vertrat. Außerdem sprach sie am 9. Juni in einem Abendmahlsgottesdienst der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Auf Einladung erzählte Williams zum Gedenken der Berliner Luftbrücke vor 75 Jahren, wie ihr Vater als Erster auf die Idee kam, für die Kinder in Ostberlin Süßigkeiten vom Himmel abzuwerfen – eine Geste, die in der leidvollen Nachkriegszeit zu einem Symbol für Hoffnung und Güte wurde.
Bei der Podiumsdiskussion auf der ILA schilderte Williams, wie ihr Vater mit Kindern gesprochen hatte, die hinter einem Zaun standen und ihn anflehten: „Hören Sie nicht auf, zu uns zu fliegen. Im Winter wird es kalt, aber bitte hören Sie nicht auf, zu uns zu fliegen, denn dann verlieren wir unsere Freiheit. Und wenn wir unsere Freiheit verlieren, bekommen wir sie nie wieder zurück.“ Diese Bitte berührte Halvorsen zutiefst und er wusste, er musste handeln. Er hatte nur zwei Streifen Kaugummi in der Tasche – nicht annähernd genug für die 30 Kinder –, doch er erkannte, dass selbst eine kleine Geste ihnen unendlich viel bedeutete. Halvorsen versprach, mit mehr Süßigkeiten zurückzukehren. Er signalisierte seine Ankunft, indem er mit den Tragflächen des Flugzeugs wackelte. Aus der kleinen guten Tat, zwei Kaugummistreifen zu verschenken, erwuchs eine eindrucksvolle, Hoffnung spendende Aktion.
Williams betonte sowohl am Samstag als auch am Sonntag, dass ihr Vater fest davon überzeugt war: „Kleines und Einfaches bewirkt Großes.“ Gail Halvorsen war für das, was er tat, nicht auf Anerkennung oder Ruhm aus. Zuerst warf er die Süßigkeiten sogar heimlich ab, aus Angst, von seinen Vorgesetzten gemaßregelt zu werden. Anstatt erst auf eine Genehmigung zu warten, sah Halvorsen schlicht einen Bedarf und fand einen kreativen Weg, den Ostberliner Kindern eine Freude zu bereiten.
Im Anschluss an den sonntäglichen Abendmahlsgottesdienst der Kirche Jesu Christi kam Denise Williams, geb. Halvorsen, mit örtlichen Vertretern von Religionsgemeinschaften und mit einstigen Kindern aus der Zeit der Luftbrücke zusammen. Sie sprachen über den Einfluss, den Halvorsen auf Ostdeutschland hatte, dass er sich von seinem Glauben beflügeln ließ und ein wahres Vorbild war. Williams betonte, dass ihr Vater die Initiative, Süßigkeiten für Kinder abzuwerfen, als von Gott inspiriert betrachtete. Dies sei in seinem Glauben als Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage tief verwurzelt gewesen. Zur Untermauerung zog Williams bei der Zusammenkunft eine Broschüre hervor. Darin werden – in Anlehnung an die Geschichte ihres Vaters – 10 Prinzipien erläutert, die auf der Lehre der Kirche Jesu Christi beruhen und die jeder, der mehr für seine Mitmenschen da sein möchte, in die Tat umsetzen kann.
Die Gesprächsrunde am Sonntag zu Glauben und Dienst am Nächsten regte zum Nachdenken über die Frage an: „Was kann ich mit meinen zwei Kaugummistreifen machen?“ Daraus entspann sich ein wichtiger Gedankenaustausch darüber, wie man Halvorsens Vermächtnis der „kleinen und einfachen“ guten Taten auch 75 Jahre später fortführen könne. Der Dienst am Nächsten erfordert weder große Gesten noch allgemeine Anerkennung – man muss nur den aufrichtigen Wunsch haben, Gutes zu tun. Dem Leben Gail Halvorsens kann man Lehren entnehmen, die immer noch gültig sind und zur Frage anregen: „Was kann ich mit meinen zwei Kaugummistreifen machen?“ – um dann entsprechend zur Tat zu schreiten. Wer sich diese Einstellung zu eigen macht, erzeugt einen Welleneffekt, durch den sich Güte und Freundlichkeit weiter ausbreiten, selbst über Generationen hinweg, und der die Gesellschaft verändern kann.