In seiner Rede mit dem Titel "Hochoffiziell" spricht der Vorsitzende der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage am Freitag, dem 7. August 2015, über Schwierigkeiten, vor denen die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche derzeit steht. Die vollständige Abschrift seiner Rede steht unten (siehe auch den Blog auf der Presseseite der Kirche zu diesem Anlass).
Michael Otterson
FairMormon-Konferenz am 6. und 7. August 2015
So viele kluge Köpfe! So viele interessante Fragen und Antworten! Eine wirklich gelungene Konferenz! Der eindrucksvollen Liste an Sprechern und Themen lässt sich entnehmen, wie erfreulich sich FairMormon in den letzten Jahren entwickelt hat. Die Vielzahl an Themen bei dieser zweitägigen Konferenz hat auch mich zu der Frage veranlasst, was ich dieser wissbegierigen Zuhörerschaft über meine PR-Arbeit für die Kirche sagen kann und soll und was Ihnen von Nutzen sein könnte.
Darf ich mich zunächst kurz vorstellen? Ich bitte um Verzeihung, wenn ich nun etwas über mein Leben erzähle, doch es hängt mit dem zusammen, worauf ich später zu sprechen komme. Ich bin nicht in der Kirche aufgewachsen, und gerade für meinen Job ist es von Vorteil, dass ich Bekehrter bin. Nach einer ziemlich intensiven und lang anhaltenden Reihe von Treffen mit zahlreichen Missionarspaaren habe ich mich mit 19 in England der Kirche angeschlossen. Zuvor hatte ich alles über die Kirche gelesen, was mir so in die Hände fiel. In der großen Stadtbibliothek von Liverpool wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass unser Glaube nicht auf uneingeschränkte Zustimmung stößt. Wenn ich erwähne, dass ich aus Liverpool stamme, werde ich immer wieder gefragt, ob ich dort denn auch die Beatles kennengelernt hätte. Habe ich nicht, entgegne ich dann, aber meine Frau hat als Mädchen einmal bei Paul McCartney angeklopft und zur Entschuldigung vorgebracht, sie müsse auf die Toilette. Sie durfte wohl hinein, aber er war leider nicht daheim! In unserer Kirche ist Liverpool jedoch eher bekannt als Anlegehafen der ersten Missionare dieser Evangeliumszeit, die ihre Arbeit außerhalb Nordamerikas aufnahmen. Heber C. Kimball sprang, als das Schiff Garrick 1837 dort anlegte, als Erster an Land. 1851 dann stellte Franklin D. Richards in Liverpool die Erstausgabe der Köstlichen Perle zusammen. Und auch die Zeitschrift Millennial Star wurde dort gedruckt.
Einhundertdreißig Jahre nachdem Heber C. Kimball am Fluss Mersey auf den Kai gesprungen war, ging ich in die Stadtbücherei ebendieser Stadt und sah nach, was dort über die Mormonen zu finden war. Es gab mehr als 30 Bücher, die sich teils in allen Einzelheiten, teils zusammenfassend mit unserem Glauben auseinandersetzten. Soweit ich mich entsinne, waren alle Bücher bis auf zwei ablehnend formuliert oder enthielten regelrechte Angriffe auf die Kirche. Noch bevor ich mich ihr also angeschlossen hatte, waren mir sowohl der Gegenstand der Kritik an der Kirche als auch die Art und Weise, wie sie geäußert wurde, geläufig.
Die Tatsache, dass ich heute hier stehe, lässt bereits erkennen, dass mir diese Äußerungen nicht so einleuchtend vorgekommen sind wie das Buch Mormon selbst – weder auf intellektueller Ebene noch verglichen mit dem machtvollen geistigen Zeugnis, das ich von Joseph Smith und dem Buch Mormon erhalten hatte. Machen wir einen Sprung vorwärts zum 19. April 1970. Meine Frau und ich lebten damals frischvermählt in Australien. An jenem Tag legte mir ein freundlicher Patriarch die Hände auf und sagte in meinem Patriarchalischen Segen unter anderem: „Dir wird die Chance gegeben werden, das Evangelium zu verteidigen.“ Die Wortwahl an sich fand ich schon aufschlussreich: "Verteidigen". Nicht etwa "predigen", "verkündigen" oder "lehren". Was hatte der Patriarch wohl damals erkannt, was ich noch nicht sehen konnte und um dessentwillen er das Wort "verteidigen" gebrauchte?
Einen Monat später waren meine Frau und ich im Neuseeland-Tempel, wo wir, da ich nun Ältester war, aneinander gesiegelt wurden. Wir blieben eine Woche im Tempel, da kam ein älterer Tempelarbeiter auf mich zu. "Sie sind doch Journalist, oder?", erkundigte er sich. Die Frage überraschte mich, denn ich konnte mich gar nicht erinnern, dass ich meinen Beruf erwähnt hatte. Und dann legte er mir eindringlich an Herz, genau auf den Wortlaut der Vorverordnungen für Männer zu achten, in dem es auch darum geht, für die Wahrheit einzutreten. Natürlich zitiere ich das hier nicht, doch jedes Mal, wenn ich an Vorverordnungen teilnehme, denke ich an diese Worte.
Gehen wir nun gleich ins Jahr 1974. Ich lebte wieder in England und arbeitete bei der Liverpool Daily Post als Wirtschaftsredakteur. Eines Tages rief mich Präsident Royden Derrick an, der damalige Präsident der Mission Leeds, die ganz Nordengland umfasste. Er befand sich gerade in Hull, einer Stadt an der Nordostküste Englands, ziemlich genau östlich von Liverpool, und hatte dort in einer Lokalzeitung einen mormonenkritischen Leserbrief eines Geistlichen einer anderen Glaubensgemeinschaft entdeckt. Er wusste, was ich beruflich machte, und fragte, ob ich einen Vorschlag hätte, wie wir reagieren sollten. Ich nahm mir die Zeit und schrieb einen freundlichen, versöhnlichen Leserbrief, in dem ich die Einladung aussprach, dass jeder, der wissen wolle, was wir wirklich verkünden, kommen könne, um zu sehen. Der Brief wurde auch ordnungsgemäß abgedruckt, und ohne dass es mir bewusst gewesen wäre, hatte ich mich damit auf jenen Pfad begeben, der mich in den nächsten mehr als 40 Jahren in die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche eintauchen ließ.
Zwei Jahre später trug mir die Kirche an, das neu eröffnete Büro für Öffentlichkeitsarbeit in London zu übernehmen, und drei Jahre später war ich zurück in Australien, weil mich die Kirche gebeten hatte, in Sydney ein Büro für Öffentlichkeitsarbeit für das Gebiet Pazifik zu gründen. Seit 24 Jahren arbeite ich nunmehr schon hier am Hauptsitz der Kirche.
Was ist im Laufe dieser 40 Jahre alles anders geworden? Weniger, als man meinen sollte – zumindest was die Fragen angeht, die uns heute wie damals gestellt wurden. Viele dieser Fragen sind im Grunde dieselben, die mir schon in der Bibliothek von Liverpool untergekommen sind, und es sind die gleichen, die auch schon zu Lebzeiten Joseph Smiths aufgetaucht sind: zur Echtheit des Buches Mormon, zu den Zeugen, zur Übersetzungsarbeit, zum Wesen von Offenbarung, zur Lebensgeschichte Joseph Smiths. Es hätte mich wahrscheinlich nicht überraschen sollen (tat es aber doch), dass so viele treue Mitglieder, nachdem sie die ausführlichen Artikel zu diversen Themen auf LDS.org gelesen hatten, erstaunt waren, zum ersten Mal in den langen Jahren ihrer Mitgliedschaft beispielsweise zu erfahren, dass es mehrere Berichte über die erste Vision gibt. Da ich 1967 bereits vor meiner Taufe diese damals allenthalben leicht zugängliche Literatur gelesen hatte, war ich irrtümlicherweise davon ausgegangen, dass die meisten Mitglieder diese Texte ebenfalls kennen. In der Zeitschrift Improvement Era, dem Vorläufer des Ensign, gab es beispielsweise im April 1970 einen umfassenden Artikel über die acht zeitgenössischen Berichte von der ersten Vision.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich also doch eine Menge geändert. Ich rede hier nicht nur vom Weltrang unserer Geschichtswissenschaftler und der Unmenge an wissenschaftlichem Material und an Unterlagen, die uns heute zur Verfügung stehen, wie etwa die Joseph-Smith-Papiere oder aufschlussreiche Forschungsergebnisse scharfsinniger junger und angehender Historiker. Vor allem beziehe ich mich auf das Umfeld, das durch das Internet und insbesondere auch durch die sozialen Netzwerke entstanden ist. Es stellt uns, wie wir ja alle wissen, vor Schwierigkeiten, bietet aber auch Möglichkeiten. Die Öffentlichkeitsarbeit ist durch diese rasch anwachsende Vielzahl an Stimmen, die sich teils für, teils gegen etwas aussprechen, zwar anspruchsvoll geworden, gleichzeitig aber auch sehr spannend. Mir gefällt es beispielsweise sehr, wie die Kirche vehement für Religionsfreiheit eintritt und sie als Teil der allgemeinen Menschenrechte betrachtet. Auch die zunehmende Transparenz, die sich diese Woche in der Bekanntgabe des neuesten Bandes der Joseph-Smith-Papiere abermals niederschlug, findet meinen Beifall.
Da wir hinsichtlich der Fragen, die die Öffentlichkeit bewegen, häufig auf dem neuesten Stand sind, möchte ich heute gern aufzeigen, wie die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit funktioniert, und dann unsere Arbeit mit ein paar Gedanken zu heute vieldiskutierten Themen veranschaulichen. Ich habe für meine Rede den Titel "Hochoffiziell" gewählt, weil ich der Meinung bin, dass noch nicht alles unmissverständlich genug gesagt worden ist und dass das eine oder andere vielleicht übersehen oder falsch verstanden wird. Ich werde aber nichts Neues zu den uralten Fragen wie ethnische Zugehörigkeit oder Mehrehe sagen, denn zu diesen Themen gibt es kompetentere Redner als mich. Die letzten zehn Minuten sind dann für Ihre Fragen reserviert. Schreiben Sie sie bitte auf ein Kärtchen und übergeben Sie diese in etwa der nächsten halben Stunde dem Ordnerdienst. Ich bitte Sie, nur solche Fragen zu stellen, die direkt mit der Öffentlichkeitsarbeit zu tun haben, denn nur darauf kann ich eingehen. (Und ich möchte auch gleich dazusagen, dass ich nicht weiß, wo die zehn verschollenen Stämme abgeblieben sind. Ich hatte allerdings mal einen Bischof, dem nachts um 1 Uhr ein Anrufer genau diese Frage stellte. Der Bischof erwiderte kurz und bündig: "Ich nehme stark an, die sind jetzt alle im Bett.")
Zur Organisation der Öffentlichkeitsarbeit
Die PR-Arbeit der Kirche wird vom Komitee für Öffentlichkeitsarbeit beaufsichtigt, dem einer der Zwölf Apostel vorsteht. Außerdem sind noch weitere Generalautoritäten oder führende Amtsträger involviert, so etwa der dienstälteste Präsident aus der Präsidentschaft der Siebziger, der Präsidierende Bischof, der Rechtsbeirat der Kirche, eine Schwester aus einer der Präsidentschaften und ein weiterer Siebziger, der Direktor der Abteilung ist. Dieser Direktor arbeitet eng mit mir zusammen, besonders im Bereich der strategischen Planung. Einige unserer hochrangigen Mitarbeiter (so auch ich) besuchen auch die wöchentlichen Komiteesitzungen.
Was ich zu allererst hochoffiziell klarstellen möchte, ist: Die Öffentlichkeitsarbeit kocht nicht ihr eigenes Süppchen und ist nicht losgelöst von den führenden Brüdern. Tagtäglich arbeite ich mit dem für uns zuständigen Apostel und mit dem Direktor zusammen. Neben den üblichen Sitzungen mit dem Apostel zweimal die Woche tauschen wir uns täglich, und bisweilen auch mehrmals täglich, aus. Jede Woche erstelle ich in Zusammenarbeit mit dem Direktor eine Präsentation für das gesamte Kollegium der Zwölf Apostel, und wir werden von ihnen instruiert. Manchmal erstellt auch ein Mitarbeiter, der Fachmann auf einem bestimmten Gebiet ist, eine Präsentation und empfängt entsprechende Anweisungen. Ich erwähne dies, weil uns mitunter Blogger kritisieren und Vermutungen anstellen über die Gründe, weshalb die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit dieses oder jenes tut. Ein Blogger hat die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit unlängst sogar als "abtrünnig" bezeichnet. Das wäre den führenden Brüdern sicherlich neu! Hier die Kurzmeldung: Wir sind keine freischaffenden Künstler!
Leider steht das Hintergrundwissen so mancher, die ellenlange Kommentare verfassen, oft in umgekehrtem Verhältnis zur Anzahl der von ihnen verwendeten Wörter. Es kann aber auch sein, dass manch einer lieber etwas an der Öffentlichkeitsarbeit auszusetzen findet, weil das weniger respektlos aussieht, als wenn die führenden Brüder direkt kritisiert werden. Falls dem so ist, dann betrachten wir es als Ehre, die Pfeilspitzen abzubekommen. Für eine Anstellung in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit braucht man jedenfalls ein dickes Fell. Mir kommen da die so aussagekräftigen Verse aus der Apostelgeschichte in den Sinn, als die Hohen Priester und der Rat Petrus und die übrigen Apostel einschüchtern wollen und sie auspeitschen lassen. In Apostelgeschichte 5, Vers 41, heißt es: "Sie aber gingen weg vom Hohen Rat und freuten sich, dass sie gewürdigt worden waren, für seinen Namen Schmach zu erleiden." Und als Nachsatz steht da im nächsten Vers sogleich: "Und Tag für Tag lehrten sie unermüdlich im Tempel und in den Häusern und verkündeten das Evangelium von Jesus, dem Christus." (Apostelgeschichte 5:41,42.)
Kein Mitarbeiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit würde sich lange in seinem Job halten, wenn er namens der Kirche eine Stellungnahme abgäbe, die nicht zuvor genehmigt wurde. Natürlich schlagen wir immer wieder vor, wie man ein aktuelles Thema angehen könnte, aber die führenden Brüder haben überhaupt keine Scheu, unsere Vorschläge zu redigieren oder zu verwerfen und selbst eine Stellungnahme zu verfassen. Außerdem bespricht sich der dem Komitee für Öffentlichkeitsarbeit vorstehende Apostel bei wichtigen Fragen selbstverständlich auch mit den übrigen Aposteln und der Ersten Präsidentschaft. Unsere Aufgabe besteht darin, die Gedanken der führenden Brüder möglichst genau in Worte zu fassen. Für die Mitarbeiter bleibt da gar kein Raum, ihre eigenen Absichten zu verfolgen.
Ich gehe deswegen so ausführlich darauf ein, weil dieser Grundsatz immens wichtig ist. Die hier Anwesenden verstehen ihn wohl, doch lassen Sie mich beschreiben, was passieren kann, wenn er nicht verstanden wird. Zu Jahresbeginn rief die Kirche in einer Pressekonferenz die gesetzgebende Versammlung von Utah dazu auf, ein Gesetz zu erlassen, das sowohl die religiösen Rechte als auch die Rechte der homosexuellen Bevölkerung gleichermaßen schützt. Drei Apostel waren bei dieser Pressekonferenz zugegen, und Elder L. Tom Perry war später auch gemeinsam mit dem Gouverneur des Bundesstaates Utah sowie weiteren Kommunalpolitikern bei der Unterzeichnung dabei. Da gab es dann doch tatsächlich den einen oder anderen, der die Gültigkeit dieser Botschaft anzweifelte, weil ja „bloß“ drei Apostel und nicht alle zwölf samt der Ersten Präsidentschaft anwesend gewesen waren. Vermutlich waren die drei Apostel dann wohl auch „abtrünnig“. Dazu fällt mir ein, was der Heiland an den blinden Führern auszusetzen hatte, die Mücken aussiebten und Kamele verschluckten (siehe Matthäus 23:24).
Was lässt sich zu den sonstigen Veröffentlichungen, etwa denen auf den Presseseiten der Kirche, sagen? Die Presseseiten sowie die Präsenz unserer Abteilung auf Facebook und auf YouTube zählen zu den wichtigsten Kommunikationskanälen, über die wir bedeutsame Ereignisse und aktuelle Entwicklungen verbreiten. Obwohl es sich ja in den meisten Fällen um Nachrichten alltäglicher Art handelt, werden auch diese erst nach Freigabe durch das Korrelationskomitee hochgeladen, das dafür zu sorgen hat, dass alles, was von der Kirche veröffentlicht wird, stimmig ist und mit der Lehre in Einklang steht. Es liegt in der Natur der Sache, dass das Korrelationskomitee uns vorrangig behandelt, wenn eine brandneue Meldung oder ein Kommentar zu einem bedeutsamen Thema auf dem Plan steht. Auch hier existiert also ein Kontrollsystem, damit sich die Mitglieder darauf verlassen können, dass das, was sie auf den Presseseiten lesen, auch wirklich stimmt. Sind wir unfehlbar? Bestimmt nicht! Machen wir da und dort mal Fehler? Gelingt es uns nicht immer, in einem Artikel oder einem Interview das treffende Wort zu finden? Ganz gewiss! Und doch können Sie beruhigt sein, denn uns ist bewusst, wer die Kirche leitet, und wir haben große Achtung vor dem festgelegten Prozedere.
Etwas "verteidigen" ist nicht das Gleiche wie "für etwas eintreten"
Trotz der Wortwahl in meinem Patriarchalischen Segen, dass ich das Evangelium verteidigen werde, gefällt mir ein anderer Ausdruck besser. Wer stets defensiv spielt und sich nur verteidigt, kann allenfalls mit einem Unentschieden rechnen. Wer angegriffen oder kritisiert wird, dem fällt es mitunter ziemlich schwer, nicht doch in die Defensive zu gehen. Besser ist es allemal, Gedanken darzulegen und für Grundsätze einzutreten. Als etwa das Musical "The Book of Mormon" aufkam, wollten wir trotz dessen abstoßender Rohheit und gotteslästerlicher Ausdrucksweise mit einem Slogan reagieren, der einen Grundsatz vermittelt. Unsere vielzitierte Entgegnung lautete: "Das Musical 'The Book of Mormon' möchte das Publikum für einen Abend unterhalten; das Buch Mormon hingegen ist eine heilige Schrift und vermag das Leben für immer zu verändern, weil es die Menschen an Christus heranführt." Wie Sie vielleicht wissen, haben wir sogar im Programmheft Werbung gemacht und die Menschen, die sich das Musical angeschaut haben, aufgefordert, nun auch das Buch zu lesen.
Wenn etwas, was uns viel bedeutet, in den Schmutz gezogen wird, ist es gar nicht so einfach, nicht doch in die Defensive gehen zu wollen. Dies gilt auch für Kritik an den führenden Brüdern. Für mich persönlich stellt gewohnheitsmäßiges Kritisieren der führenden Brüder einen äußerst gefährlichen Zeitvertreib dar, und deshalb möchte ich auch kurz auf diesen Punkt eingehen. Ich verwende hier den Ausdruck "führende Brüder", weil ich zu Mitgliedern der Kirche spreche, denen allen bekannt ist, wer damit gemeint ist – die Generalautoritäten, und insbesondere die Erste Präsidentschaft und die Zwölf Apostel. Im Gespräch mit Vertretern der Medien vermeide ich diesen Ausdruck nach Möglichkeit, denn er klingt fremd und antiquiert, und ich spreche zumeist von der Führungsriege der Kirche.
Als ich damals im Büro für Öffentlichkeitsarbeit in London einen englischen Journalisten eingeladen hatte, einen unserer Apostel kennenzulernen, habe ich, soweit ich mich entsinnen kann, zum ersten Mal erlebt, dass jemand quasi mit dem Finger auf einen der führenden Brüder zeigt. Der Journalist fragte mich, womit wir es rechtfertigen, dass die Führer unserer Kirche einen Transatlantikflug buchen, wo Jesus doch auf einem Esel geritten ist. Ich entgegnete ihm damals, sobald man einen Transatlantikesel erfinde, würden wir den sehr gerne benutzen. Besonders originell war das vielleicht nicht – ich weiß auch nicht mehr, ob ich so etwas Ähnliches schon irgendwo mal gehört hatte. Es war einfach eine absurde Antwort auf eine absurde Frage. Es erscheint mir nahezu unfassbar, wie jemand die Beweggründe der führenden Brüder in Frage stellen oder andeuten kann, dass diese für all ihre Mühen doch wohl finanziell entschädigt würden oder finanzielle Gründe hätten.
In Wirklichkeit ist es nämlich so: Nicht alle führenden Brüder sind zuvor Geschäftsleute gewesen, doch die meisten hatten schon eine äußerst erfolgreiche Berufslaufbahn hinter sich, als sie zum Apostelamt berufen wurden. Präsident Spencer W. Kimball hat einmal darauf hingewiesen, dass die Fähigkeit, Menschen zu führen und einer Organisation vorzustehen, bei einer Kirche mit Millionen Mitgliedern mehr sei als bloß eine wünschenswerte Eigenschaft, und dass sie mit geistigem Tiefgang und einem umfassenden Verständnis vom Evangelium einhergehen müsse. Viele dieser vormals äußerst erfolgreichen Geschäftsleute erhalten, wenn sie zum Apostelamt berufen werden, als Aufwandsentschädigung womöglich weniger als ein Zehntel dessen, was sie vorher verdient haben.
Einige der führenden Brüder waren vorher als Lehrer tätig gewesen. Elder Scott war Atomphysiker gewesen, Elder Nelson Herzchirurg. Etliche waren angesehene Anwälte gewesen. Derzeit sind unter den Zwölf Aposteln drei ehemalige Universitätsrektoren. Präsident Boyd K. Packer war von Beruf ebenfalls Lehrer gewesen, doch in seiner Freizeit und als er noch jünger war, hatte er gern geschnitzt. Irgendwie erinnert das doch sehr an einen anderen in den Schriften erwähnten Beruf – den des Zimmermanns.
Können Sie sich vorstellen, wie es ist, wenn einer zum Apostelamt berufen wird? In den meisten Fällen hat man bereits eine erfolgreiche Berufslaufbahn vorzuweisen. Man geht zwar davon aus, dass man weiterhin ehrenamtlich für die Kirche tätig sein wird, aber man schmiedet auch schon Pläne fürs Rentenalter. Die Erste Präsidentschaft und die Zwölf gehen aber natürlich nicht in Pension. Sie werden auch nicht entlassen. Mit dieser Berufung geht die Gewissheit einher, dass man für den Rest seines Lebens Tag für Tag arbeiten wird (selbst wenn man schon über 90 Jahre alt ist), bis man schließlich eines Tages tot umfällt, weil Körper und Verstand einfach nicht mehr können. Der Arbeitstag beginnt früh und endet nicht um 17 Uhr. Montags haben die Apostel frei, doch da bereiten sie sich zumeist auf ihre Aufgaben in der restlichen Woche vor. Wenn sie übers Wochenende irgendwohin fliegen, müssen sie meistens schon am Freitagnachmittag los. Auch wenn sie schon über 80 sind, müssen sie von Zeit zu Zeit in aller Welt auf Konferenzen sprechen und Führungsaufgaben wahrnehmen.
Und wenn sie dann endlich mal in den eigenen vier Wänden sind? Ich habe die Handynummer der meisten führenden Brüder, weil ich sie gelegentlich auch am Abend oder am Wochenende anrufen muss oder während sie auf Reisen sind. Und so naiv bin ich nicht, dass ich davon ausgehe, ich wäre der einzige Beamte der Kirche, der das tut. Selbst ihre Freizeit ist also gespickt mit Unterbrechungen. Wenn ich bei ihnen zu Hause anrufe, entschuldige ich mich zuallererst immer für die Störung. Aber noch nie hat mir jemand deswegen einen Vorwurf gemacht. Die Brüder sind stets freundlich und versöhnlich, selbst wenn ich früh am Morgen oder spät am Abend anrufe.
Der längere Teil ihres Urlaubs beginnt nach Ende des Seminars für neue Missionspräsidenten, also Ende Juni, und dauert bis Ende Juli. Obgleich das eigentlich eine Auszeit sein soll, machen sich die Brüder da unter anderem zumeist schon Gedanken über ihre Ansprachen bei der Herbst-Generalkonferenz und bereiten sie vor. Und zu den Weihnachtsfeiertagen bereiten sie sich dann auf die Frühjahrs-Generalkonferenz vor. Sie alle nehmen sich ungemein viel Zeit und geben sich die größte Mühe bei der Wahl eines Themas und der Formulierung ihrer Botschaften. Monatelang feilen sie daran, und mit jedem weiteren Entwurf nimmt die Ansprache Gestalt an.
Solch ein Arbeitspensum wünscht man wahrlich niemandem. Trotzdem tragen sie es mit Gleichmut und haben aus unschlagbar guten Gründen Freude daran: aus ihrem Zeugnis und der Verpflichtung heraus, vor aller Welt als Zeuge für den Heiland aufzutreten, sowie aus dem Wunsch heraus, Gottes Kinder in aller Welt zu stärken. Sie sind wohl auch die Allerersten, die ihre Fehler und Versäumnisse eingestehen, so wie wir ja auch in den Aposteln aus dem Neuen Testament mühelos unvollkommene Menschen erkennen.
Wenn ich die Evangelien durchlese und die Apostelgeschichte und all die Briefe, die die Apostel an diverse Gruppen und Mitglieder im Mittelmeerraum geschrieben haben, wird mir bewusst, was für außerordentlich große Männer das waren, auch wenn jeder – selbstverständlich – seine Fehler hatte. Und doch möchte ich bei Petrus keinen kritischen Blick auf sein ungestümes Wesen werfen oder in ihm den Zauderer sehen, der Christus verleugnet hat. Eher sehe ich ihn gegen Ende seines Lebens als einen, der Prüfungen und Stürme überstanden hat und dadurch zu einer der überragenden Gestalten der biblischen Geschichte wurde und dessen Name und Werke nun schon zweitausend Jahre überdauert haben. Das Gleiche gilt für viele der übrigen Apostel aus alter Zeit, vor allem vielleicht für Paulus, der vom Verfolger zum Verfolgten wurde. Und weil mir mein Zeugnis bestätigt, dass das Evangelium wiederhergestellt worden ist, sehe ich die führenden Brüder von heute im selben Licht. Gewiss ist jeder von ihnen ein sterblicher Mensch, und doch hat der Herr ihnen und nicht mir den Mantel umgelegt, damit sie die Kirche führen und schwierige Entscheidungen treffen. Ich vergöttere die führenden Brüder beileibe nicht. Ich erstarre nicht vor Ehrfurcht, wenn mir ein Apostel die Hand gibt. Ich unterstütze sie vielmehr von ganzem Herzen und trage in mir die ruhige, zuversichtliche Gewissheit, dass die Kirche in guten Händen ist. Das weiß ich aus eigener Erfahrung und weil ich mit ihnen zu Rate sitze.
Folgenschwere Fragen
Zweifellos müssen sich die Apostel mit folgenschweren Fragen herumschlagen. Auf einige davon möchte ich nun näher eingehen. Da ich in etwa mit der Hälfte meiner Rede durch bin, kann ich vielleicht drei oder vier dieser Fragen erörtern, und dann brechen wir ab und widmen uns Ihren Fragen. Nachdem so eine brisante Sache daraus geworden ist, möchte ich gern ein wenig auf die zunehmenden Rechte der Schwulen eingehen und was dies für die Kirche und vor allem die Religionsfreiheit bedeutet.
Auch das Thema Andersdenkende und Disziplinarrat möchte ich ansprechen und ebenso die ausführlichen Artikel, die gegenwärtig auf LDS.org veröffentlicht werden. Zum Schluss möchte ich dann darlegen, von welchen Grundsätzen wir uns in der Öffentlichkeitsarbeit beim Schreiben leiten lassen.
Wenn man schon so lange in der Öffentlichkeitsarbeit tätig ist, hat man den Vorteil einer Langzeitperspektive, die auf dem kollektiven Gedächtnis unserer Abteilung beruht. Das hat bisweilen viel für sich. Man braucht aber nicht gar so alt zu sein, um noch zu wissen, wie wir in der Kirche früher – und aus heutiger Sicht unduldsam und harsch – über homosexuelles Verhalten gesprochen haben. Darauf komme ich gleich noch zu sprechen. Die Grundlagen haben sich allerdings nicht geändert. Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe ist nach dem Gesetz Gottes moralisch verwerflich. Aus dem gleichen Grund ist auch Geschlechtsverkehr mit jemandem von gleichen Geschlecht falsch. Die Lehre ist nach wie vor unverändert, doch unsere Art, darüber zu reden, hat sich völlig geändert.
Fast allen hier wird wohl klar sein, dass man in die Irre geht, wenn man die Vergangenheit anhand heutiger Maßstäbe und aus heutiger Sicht beurteilt. Dieses Überwälzen heutiger Normen auf etwas Vergangenes ist ein weit verbreitetes Problem. Es ist nicht schwer, in der Vergangenheit zu graben und auf Aussagen zu stoßen, die damals den geltenden Normen entsprachen, und diese dann unrichtigerweise in die heutige Zeit zu übertragen. Würde nicht jeder von uns gern das eine oder andere Wort zurücknehmen, das er einst gesagt oder geschrieben hat, das aber im heutigen Sprachgebrauch gestelzt oder schlimmstenfalls gar beleidigend klingt?
Unsere Wortwahl ist in den letzten Jahren, seit sich die Kirche mit der Schwulenbewegung befasst, zweifellos differenzierter und rücksichtsvoller geworden. Das bedeutet, wie gesagt, nicht, dass sich etwas an der Lehre vom Zweck des Geschlechtsverkehrs, der Ehe und der Familie geändert hätte, auch nicht an der Definition für Sünde, aber es zeigt, dass dieses Verständnis im Bewusstsein der Führungsbeamten der Kirche nun tiefer verankert ist.
Damit will ich freilich nicht sagen, dass die führenden Brüder Jahre zuvor keine Kenntnis von diesen Prüfungen gehabt hätten. Ich denke da vor allem an Elder Quentin L. Cook vom Kollegium der Zwölf, der in den 80er Jahren in San Francisco Pfahlpräsident war – ausgerechnet, als dort die AIDS-Epidemie ausbrach. Ich interviewte Elder Cook damals zu diesem Thema. Sichtlich erschüttert schilderte er vor laufender Kamera, wie er einigen homosexuellen Mitgliedern, die an AIDS erkrankt waren, in ihren letzten Lebenstagen beistand. Auch von anderen führenden Brüdern habe ich gehört, wie nahe es ihnen geht, wenn Familien und homosexuelle Angehörige, die mit diesem äußerst diffizilen Problem ringen, daran zerbrechen.
Nachdem man in der Öffentlichkeit immer mehr über gleichgeschlechtliche Neigungen spricht, hat sich auch unsere Wortwahl geändert. Unsere Maßstäbe in Bezug auf Keuschheit sind unverändert geblieben, aber wir wenden uns nun an ein wachsendes Publikum. Das Gleiche lässt sich auch über unverheiratet zusammenlebende heterosexuelle Paare sagen. Es missfällt uns, wir raten davon ab, wir halten unsere Jugend zu Keuschheit vor der Eheschließung an, doch es ist uns auch klar, dass fast überall auf der Welt andere Maßstäbe und Werte gelten, die im ständigen Wandel begriffen sind, und dass die schneidend scharfe Stimme der Kirche daran nichts ändern wird.
2012 stellte die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit gegen Ende des Präsidentschaftswahlkampfs die Website "mormonsandgays.org" ins Netz. Dort gibt es einige Interviews mit Mitgliedern des Kollegiums der Zwölf Apostel. Die Seite wurde von den führenden Brüdern genauestens begutachtet, ehe sie freigeschaltet wurde. Mit dieser Website wurden, offen gestanden, mehrere Absichten verfolgt. In der Hitze des Wahlkampfes und weil damals ja ein Mitglied unserer Kirche als Kandidat seiner Partei aufgestellt worden war, gingen wir davon aus, dass schließlich auch die „Schwulenfrage“ zur Sprache kommen würde und dass wir uns all den falsch verstandenen Darstellungen und verzerrten Ansichten würden stellen müssen, die der Kirche seit dem Volksentscheid in Kalifornien im Jahr 2008 vorgehalten wurden. Die Website stellt gleichzeitig aber auch eine Plattform für Mitglieder dar, die Erfahrungen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen haben oder sexuell anders orientiert sind.
In so mancher Familie der Kirche war die Reaktion auf das Geständnis eines Teenagers, der sich als schwul geoutet hatte, alles andere als von Mitgefühl oder dem Bemühen um beiderseitiges Verständnis geprägt. Im Extremfall wurden junge Leute des Hauses verwiesen. Obdach- und mittellos wurden sie dann zur leichten Beute von Drogendealern, sie prostituierten sich oder machten andere erniedrigende Erfahrungen, und einige nahmen sich sogar das Leben. Mir ist kein Verantwortlicher der Kirche bekannt, der ein derartiges Vorgehen gebilligt hätte, doch die Führenden waren sich all dieser Probleme auch nicht immer bewusst und die Mitglieder im Allgemeinen sowieso nicht. Mormonsandgays.org war, wie gesagt, vor dem Start von den führenden Brüdern genauestens begutachtet worden und sollte sich dieses Problems annehmen und Eltern und sonstigen Angehörigen Mut machen, ihre Kinder oder Geschwister in den Arm zu nehmen, auch wenn sie deren unsittliches Verhalten nicht billigten.
Es ist und bleibt eine Gratwanderung. Derzeit sind wir mit der Weiterentwicklung der Internetseite mormonsandgays.org beschäftigt. Version 2.0 wird bald fertig und soll Anfang nächsten Jahres ins Netz gestellt werden. Dieses Thema führt naturgemäß zu einem damit verwandten Problem, nämlich dem Standpunkt der Kirche zum Zusammenhang zwischen Religionsfreiheit und den Rechten von Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen.
Schon damals beim Volksentscheid hatte die Kirche öffentlich erklärt, dass sie nicht dagegen ist, Schwulen und Lesben gleiche Rechte zuzugestehen bei Miet- und Arbeitsverträgen, testamentarischen Verfügungen sowie Krankenhausbesuchen und so weiter, die ja keine Bedrohung der Institution Familie darstellen. Für die Kirche lag das Problem in den Bestrebungen, den Begriff Ehe neu zu definieren. Ich weiß noch, dass die führenden Brüder selbst zu diesem frühen Zeitpunkt vehement die Meinung vertraten, dass die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe eine Flut von Problemen für die Religionsfreiheit mit sich bringen werde. Sie waren in der Tat erstaunlich hellsichtig. Falls Ihnen noch nicht aufgefallen ist, was für ein riesiger kultureller Konflikt zwischen den Verfechtern der Rechte der Schwulen und Lesben und vielen Glaubensgemeinschaften entstanden ist, die ihre religiösen Rechte bedroht sehen, so kann ich Ihnen versichern, dass hier eines der großen gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit entsteht.
Näher darauf einzugehen würde den Rahmen meiner Rede sprengen, doch selbst eine oberflächliche Auseinandersetzung mit den Äußerungen etlicher Vertreter der Schwulen und Lesben über religiöse Rechte ist ernüchternd. Kaum war die Tinte auf dem jüngsten Beschluss des nationalen Aufsichtsrats der Boy Scouts of America, auch homosexuelle Pfadfinderführer zuzulassen, getrocknet, da bezeichnete die sogenannte Menschenrechtsbewegung, eine der Hauptgruppen der Schwulen- und Lesbenvertreter, dies als sinnvollen "ersten Schritt" - womit gemeint ist, sie würden erst dann lockerlassen, wenn alle Kirchen gezwungenermaßen ebenfalls schwule Führer in ihren Pfadfinderorganisationen zulassen. Noch vor der Pfadfinderfrage hatten sich schon viele aus dieser Gruppe dafür stark gemacht, kircheneigenen Hochschulen den Status als Universität abzuerkennen, falls sie den Vorstellungen der Schwulen und Lesbenvertreter, was gesellschaftlich zu akzeptieren sei, nicht nachkommen. Auch die Steuerbefreiung für Religionsgemeinschaften ist unlängst zur Sprache gekommen.
Die Kirche hat auf all das mustergültig zurückhaltend, vernünftig und christlich reagiert. Sie weicht zwar keinen Deut vom Plan des himmlischen Vaters für seine Kinder und vom Zweck des Erdenlebens ab (wozu auch die Art gehört, wie Sexualität zum Ausdruck kommen soll), gesteht den Vertretern der Schwulen und Lesben aber dennoch das Recht zu, am Wohnungs- und Arbeitsmarkt und in anderen Bereichen, die ich vorhin bereits erwähnt habe, gerecht behandelt zu werden. Hätte die Kirche im letzten Januar bei der Pressekonferenz sich nicht öffentlich für die Gleichstellung religiöser Rechte mit den Rechten der Schwulen und Lesben ausgesprochen, dann hätte der Bundesstaat Utah außerdem heute nicht ein Gesetz, das die Rechte beider Gruppierungen schützt.
Die Kirche wird auch in Zukunft auf eine solche Ausgewogenheit Wert legen. Nicht allen Mitgliedern fällt es leicht, dies zu verstehen. Einige vertreten Ansichten, in denen ein Unterton mitschwingt, den wir schon seit vielen Jahren kennen. Sie glauben, dass jede mitfühlende Geste gegenüber einem Homosexuellen sogleich bedeute, dass man die Sünde billigt, selbst wenn gleichgeschlechtliche Neigungen an sich keine Sünde darstellen.
Andere hingegen möchten die Kirche offenbar der jeweils aktuellen, politisch korrekten gesellschaftlichen Norm unterwerfen. In dieser Frage ist also noch viel interne Aufklärungsarbeit nötig. Besonders die Jugendlichen und die jungen Erwachsenen müssen hier unterwiesen werden. Die führenden Brüder werden dabei weise einen Kurs vorgeben, der an der Lehre der Kirche festhält und gleichzeitig die Liebe Christi widerspiegelt, der alle Menschen liebt und niemanden ausschließt.
Kann ein Mitglied in dieser Frage eine eigene Meinung haben und dennoch der Kirche treu bleiben? Diese Frage wird oft an uns herangetragen, und zwar aus ganz verschiedenen Ecken. Kann ein Mitglied gleichzeitig Demokrat und guter Mormone sein? Diese Frage finde ich irgendwie lustig. Wenn die Mitglieder, die sich das fragen, ein bisschen in der Welt herumkämen, würden sie auf treue Mitglieder der Kirche stoßen, die der kommunistischen Partei ihres Heimatlandes angehören. Ich fürchte, ihr Blutdruck könnte dabei dauerhaft Schaden nehmen. Kann ich mich für die Frauenbewegung einsetzen und trotzdem eine gute Mormonin sein? Darf ich die Meinung vertreten, unser Gesangbuch sollte mal gründlich überarbeitet werden? Wenn ich manchmal finde, dass nicht jede Minute unseres dreistündigen Versammlungsblocks durch und durch erbaulich ist, bin ich dann schon auf dem Weg zum Abfall vom Glauben?
Ich möchte nicht respektlos erscheinen. Ich weiß, manche dieser Fragen wiegen schwerer als andere. Ich kann Ihnen nur sagen, wie ich persönlich dazu stehe. Die Kirche ist für mich keine intellektuelle Zwangsjacke. Wir haben eine äußerst breit gestreute Vielfalt an Mitgliedern. Auf jedem Kontinent, wo es Einheiten der Kirche gibt, bin ich mit Mitgliedern in Kontakt. Einer der aufregendsten Aspekte der Mitgliedschaft in der Kirche Jesu Christi besteht ja in dem Bewusstsein, dass wir zu einer vielfältigen und zugleich weltweit vereinten Familie gehören. Ich als Engländer etwa reiße hin und wieder Witze über die Franzosen. Das gehört einfach dazu, wenn man Brite ist. (Ich habe ihnen beispielsweise niemals vergeben, dass sie im amerikanischen Bürgerkrieg die falsche Seite unterstützt haben.) Die Franzosen wiederum machen sich lustig über die Engländer. Doch wenn ich im Flugzeug neben einem Mitglied aus Frankreich sitze, spüre ich sofort: Uns verbindet etwas. Nationale und kulturelle Unterschiede lösen sich in Luft auf. Mit diesem Mitglied habe ich weit mehr gemeinsam als mit einem meiner Landsleute, der nicht der Kirche angehört, selbst wenn er gleich alt ist wie ich und aus meiner Heimatstadt stammt und dieselbe Schule besucht hat wie ich. Als Mitglied spüre ich sofort, dass ich mit meinem neuen Bekannten aus Frankreich die wichtigsten Grundwerte und Erfahrungen teile, und wir verfolgen ganz allgemein dieselben Ziele für dieses Leben und das Jenseits. Es genügt mir zu wissen, dass wir als Heilige der Letzten Tage in Wirklichkeit keine Fremden ohne Bürgerrecht mehr sind, sondern Mitbürger jenes Reiches, das über sämtliche Landesgrenzen und Kulturen hinausreicht.
Will ich nun meinen französischen Sitznachbarn dazu bewegen, dass er mit meinen Auffassungen vom Leben bis in die kleinsten Kleinigkeiten übereinstimmt? Bestehe ich darauf, dass wir uns auf unserer spirituellen Reise beide an genau demselben Punkt befinden müssen? Oder gebe ich ihm wie der Herr den Freiraum, sich selbst eine Meinung zu bilden, sich zu entfalten und sich mehr Verständnis anzueignen?
Erst wenn mein neuer Bekannter darauf besteht, dass ich alles so sehe wie er, wenn er meint, die führenden Brüder führten die Mitglieder in die Irre, wenn er mehr als mein Freund sein will und sich ungebeten zum Lehrer aufschwingt, mache ich mir Sorgen, welche Richtung er eingeschlagen hat. Wenn er mir dann von seinem Blog erzählt und dass er öffentlich beweisen könne, dass die führenden Brüder im Irrtum sind, wenn er sich jedem Rat widersetzt, dann erwarte ich, dass die kirchlichen Führer ihm entgegentreten, selbst wenn sie davon lieber Abstand nehmen würden. Wenn Freundlichkeit, überzeugende Rede und ungeheuchelte Liebe zu keiner Änderung führen, dann fürchte ich um seine Zukunft in der Ewigkeit. Aber das Recht, anderer Ansicht zu sein als ich – dieses Recht werde ich ihm immer zugestehen. Ich mag die Vielfalt in der Kirche, aber ich glaube trotzdem nicht, dass Vielfalt am Ende besser ist als Einigkeit. "Wenn ihr nicht eins seid, dann seid ihr nicht mein."
Ich weiß ganz genau, dass die Erste Präsidentschaft und das Kollegium der Zwölf keine Anordnungen über den Ausgang eines Disziplinarrats erteilen, sondern sich dessen tunlichst enthalten. Als oberstes Berufungsgericht darf die Erste Präsidentschaft das auch gar nicht. Sie muss unabhängig bleiben. Nach den Richtlinien der Kirche obliegt die Entscheidung, ob ein Disziplinarrat abzuhalten ist und zu welchem Ergebnis er gelangt, dem Bischof und dem Pfahlpräsidenten. Der Pfahlpräsident darf sich selbstverständlich in Verfahrensfragen an die Gebietssiebziger in seiner Priestertumslinie wenden, aber nicht, was Entscheidungen und Ergebnisse betrifft.
Neulich gab es Spekulationen, weil Disziplinarräte oder die Einladung, sich mit dem Bischof zusammenzusetzen, zeitlich zusammenfielen und dadurch der Anschein erweckt wurde, als sei dies von höherer Stelle angeordnet. Dies ist jedoch nicht der Fall, und es gibt auch eine einfache, einleuchtende Erklärung, die keine geistigen Verrenkungen erforderlich macht. Die Generalautoritäten, darunter auch die aus sämtlichen Siebzigerkollegien, kommen alle sechs Monate unmittelbar vor der Generalkonferenz zu einer Schulung an den Hauptsitz der Kirche. In diesen Schulungsversammlungen wird im Laufe der Jahre ein breites Spektrum an unterschiedlichen Themen behandelt. Wenn dann, wie unlängst geschehen, auch besprochen wird, wie der Disziplinarrat nach den Richtlinien der Kirche abzuhalten ist, dann ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Inhalt der Schulung seinen Weg in die Pfähle und Gemeinden findet und der eine oder andere Führungsbeamte sich eher imstande sieht, mit einem Mitglied zu sprechen, das seiner Meinung nach Rat nötig hat. Das wird besonders zu den Zeiten so sein, wenn gewisse Mitglieder sich öffentlich für Änderungen einsetzen, die den Richtlinien oder der Lehre der Kirche zuwiderlaufen. Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, ob es derzeit eine Zunahme bei solchen Unterredungen gibt, und wenn ja, ob ich den Grund richtig erkannt habe. Wer aber hinter jeder vermeintlichen Änderung eine Verschwörung vermutet, tut nichts Gutes und liegt selten richtig.
Wie angekündigt, möchte ich noch kurz die ausführlichen Artikel auf LDS.org ansprechen, in denen es um Themen geht, mit denen manche Mitglieder Schwierigkeiten haben. Darüber habe ich eigentlich nicht allzu viel zu sagen. Dem Feedback auf LDS.org nach zu schließen, finden manche Mitglieder, die Artikel hätten besser positioniert und groß angekündigt werden sollen. Andere Mitglieder wiederum sind der Ansicht, die Artikel bekämen mehr Aufmerksamkeit, als sie verdienen. Alles in allem kann ich dem Standpunkt durchaus etwas abgewinnen, dass sie von Anfang an besser positioniert hätten werden sollen, doch es steckt noch ein wenig mehr dahinter. Einige Artikel wurden nach ihrem Erscheinen ausgiebig in den Medien besprochen. Wer die Entwicklungen in der Kirche aufmerksam verfolgt, wird festgestellt haben, dass verstärkt auf das Lesen und Lernen in der Familie Nachdruck gelegt wird, auf eine Sabbatheiligung, durch die dieses Lernen in den Alltag einfließt, und auf einen flexibleren Lehrplan, der die Inhalte und das Material zur Abrundung aus einer Vielzahl von Quellen bezieht – so auch aus diesen Artikeln. Diese Artikel sollen nach dem Willen der Führer der Kirche mehr als nur ein einmaliges Leseerlebnis auf LDS.org bieten. Der Inhalt und die Grundsätze sollen sich besonders bei den Jugendlichen zu einem umfassenderen Bild zusammenfügen.
Der Veröffentlichung dieser Artikel war eine lange Diskussion, nicht zuletzt auch über deren Länge, vorausgegangen. Einmal standen sogar Abhandlungen von 50 Seiten Länge oder mehr zur Debatte, und es gab auch ein paar Entwürfe mit umfangreichen Fußnoten. Man kam jedoch zu dem Schluss, dass sich (abgesehen von Wissenschaftlern, denen der Stoff sowieso bereits vertraut ist) nur wenige unserer Mitglieder durch solch einen Wust an Material hindurchkämpfen würden. Als Alternative wurde ein kurzer Kommentar von etwa zwei, drei Seiten Länge in Betracht gezogen, doch dies wurde als unbefriedigend empfunden und erfüllte auch nicht das Hauptkriterium Transparenz. Das Ergebnis all dieser Überlegungen findet sich nun auf LDS.org wieder, und im Allgemeinen wurden die Artikel gut aufgenommen. Auch wenn die ersten Entwürfe bereits von äußerst kompetenten Gelehrten der Kirche verfasst worden waren, wurden sie von Mitarbeitern der Geschichtsabteilung und weiteren Wissenschaftlern noch einmal eingehend überprüft. Danach wurden die Artikel vom Kollegium der Zwölf Apostel auf Genauigkeit und Ausgewogenheit hin durchgesehen und schließlich von der Ersten Präsidentschaft freigegeben.
Lassen Sie mich nun zum Schluss kommen, damit wir noch einige Ihrer Fragen besprechen können. Ich hatte bereits erwähnt, dass es nichts bringt, wenn wir uns zu defensiv verhalten. Ich hoffe, ich habe heute nicht übermäßig defensiv geklungen. Es mag Ihnen ein wenig befremdlich vorkommen, wenn jemand, der beruflich in der Öffentlichkeitsarbeit tätig ist, so etwas sagt, doch ich möchte Ihnen noch einen letzten Gedanken dazu mitgeben.
Elder Neal A. Maxwell, der früher ebenfalls Vorsitzender des Komitees für Öffentlichkeitsarbeit war, sprach gern über das, wie er sagte, größte Dilemma der Öffentlichkeitsarbeit. Lassen wir unser Licht leuchten, damit die Menschen unsere guten Werke sehen, oder erwecken wir damit den Anschein, Almosen zu geben, damit wir gesehen und von der Welt gepriesen werden?
Heute stehen wir noch vor einem weiteren Dilemma. Die Hauptaufgabe der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit besteht darin, Beziehungen zu Meinungsbildnern aufzubauen, deren Einfluss die Mission der Kirche fördern oder behindern kann. Wir können in der Gesellschaft viel Gutes erreichen, wenn wir dieses Ziel vor Augen haben. Es führt zur Zusammenarbeit mit anderen Kirchen, mit Politikern jedweder Couleur, mit Vertretern der Lesben- und Schwulengemeinschaft und weiteren führenden Persönlichkeiten und anderen.
Gleichzeitig schwimmt die Kirche jedoch seit Urzeiten kulturell gegen den Strom; das heißt, sie stemmt sich oft gegen gesellschaftliche Konventionen und etablierte Institutionen. Jesus hat viel über Schafe gesprochen, sich aber nie wie eines verhalten. Er stellte gesellschaftliche Normen in Frage, hatte mit Menschen Umgang, von denen die feine Gesellschaft nichts wissen wollte, und hielt dem Establishment Heuchelei vor, wo immer sie zutage trat. Auch die Apostel stellten bei der Verkündigung der Evangeliumswahrheiten immer wieder unerschrocken Konventionen in Frage.
Wie gelingt uns also der Spagat zwischen diesen beiden anscheinend unvereinbaren Grundsätzen: in der Welt Beziehungen zu denen aufbauen, die nicht der Kirche angehören und so manches anders sehen, und uns dennoch zur Wehr setzen gegen die wachsende Säkularisierung und die Ablehnung organisierter Religion?
Die Antwort auf diese und weitere schwierige Fragen liegt darin, Jesus Christus unter allen Umständen zu folgen. Dies ist unser Hauptauftrag und unsere Richtschnur. Unsere Kirche trägt den Namen des Heilands. Es ist seine Kirche. Die Lehren stammen von ihm, und wir sind bestrebt, unser Leben nach dem auszurichten, was Jesus sagt. Dies müssen wir also bei jeder Stellungnahme der Kirche im Hinterkopf haben, und was die Kirche unternimmt, muss stets mit ihren Worten übereinstimmen. Bei jeder Entscheidung, die wir treffen, und bei jeder Empfehlung, die wir vorbringen, wollen wir daran denken. Was würde der Heiland tun? Alle, die mit FairMormon zu tun haben, sind besonders verpflichtet, sich einer Ausdruckweise zu befleißigen, mit der der Heiland einverstanden wäre, und Polemik und Streitgespräche zu meiden. Wir haben sechs einfache Grundsätze aufgestellt, mit denen das, wofür wir stehen, untermauert und nicht entschuldigt wird, und zwar:
- Wir glauben an Gott und sind bestrebt, nach den Grundsätzen des Evangeliums Jesu Christi zu leben. Wir nehmen Gottes Plan für seine Kinder von ganzem Herzen an und bringen dadurch Freude in unser Leben und in das unserer Mitmenschen.
- Wir treten vehement für die Familie ein und für eine starke, stabile Ehe, in der Kinder willkonmen sind. Wir wollen unsere Kinder gut erziehen und ihnen hohe moralische Werte vermitteln.
- Wir schätzen unsere Freiheit und treten für sie ein, auch für die Religionsfreiheit. Wir respektieren die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen und seine moralischen Entscheidungen, die Freiheit, Gott zu verehren, und die Freiheit, unseren Glauben zu verkünden.
- Wir vertreten hohe moralische Werte und sind bestrebt, entsprechend zu leben. Dazu gehören Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und weitere christliche Eigenschaften.
- Wir helfen anderen, ob sie unseren Glauben teilen oder nicht. Nächstenliebe, also die Liebe zu unseren Mitmenschen, ist eine Quelle der Freude.
- Wir möchten aufzeigen, dass ein Leben sich durch die erlösende Macht des Evangeliums zum Besseren wandeln kann. Die Begriffe, die wir damit verbinden, sind Glaube, Umkehr und das Sühnopfer.
Das sind die Fragen und die Schwierigkeiten, die uns heute beschäftigen. Danke, dass Sie mir zugehört haben.