Elder Cziesla, bei der Frühjahrs-Generalkonferenz der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage wurden Sie als Gebietssiebziger berufen. Was ist ein Siebziger?
Der Evangelist Lukas berichtet, dass Jesus Christus neben den Aposteln siebzig weitere Jünger aussandte, um Frieden zu verkünden und Bedrängten beizustehen [siehe Lukas 10:1-16, einige Textzeugen nennen zweiundsiebzig]. Daraus ergibt sich die Bezeichnung für ein Amt im Priestertum. So wie damals predigen Siebziger heute die Botschaft Christi und tragen zum Aufbau der Kirche bei.
Was ist ein Gebiet?
Die Kirche Jesu Christi zeichnet sich durch eine einfache Struktur aus. Mehrere örtliche Gemeinden sind in einem Pfahl zusammengefasst - ein Bezug auf das biblische Bild der Pfähle, die eingeschlagen sind, um ein Zelt beziehungsweise die Kirche zu stützen. Eine Anzahl von Pfählen bilden ein Gebiet. Die weltweite Kirche gliedert sich in Gebiete. Als Gebietssiebziger wirke ich ausschließlich im Gebiet Europa. Es gibt auch Generalautorität-Siebziger, die überall in der Welt tätig werden können.
Was bedeutet die Anrede "Elder"? Was kann man sich darunter vorstellen?
Es handelt sich um die englischsprachige Amtsbezeichnung für einen Ältesten. Dabei geht es nicht um das Alter. Mit Mitte vierzig gehöre ich trotz erster grauer Haare sicherlich nicht zu unseren ältesten Gläubigen. Das kirchliche Amt des Ältesten ist sowohl im Neuen Testament als auch in anderen christlichen Kirchen bekannt. In jeder unserer Gemeinden gibt es ordinierte Älteste. Als Anrede ist "Elder" in unserer Kirche Missionaren, Siebzigern und Aposteln vorbehalten.
Sie sind neben Ihren kirchlichen Aktivitäten beruflich als niedergelassener Rechtsanwalt tätig. Haben Sie eine theologische Ausbildung abgeschlossen?
In der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage dienen Menschen mit allen denkbaren beruflichen Hintergründen. Ein theologischer Abschluss ist keine Voraussetzung für ein kirchliches Amt und wird auch nicht erwartet. Präsident unserer Kirche ist ein Herzchirurg, die weltweite Leiterin eine unserer Jugendorganisationen kommt aus der Software-Industrie. Unter meinen Amtskollegen als Gebietssiebziger im deutschsprachigen Europa sind ein Biochemiker, ein Mediziner und ein Musikmanager. Jedes Mitglied unserer Kirche eignet sich im Laufe der Zeit Kenntnisse in Bezug auf Lehre und Organisation sowie auf Seelsorge an. Am wichtigsten ist jedoch der Wunsch des Einzelnen, dem Vorbild Jesu Christi zu folgen und seinem Nächsten zu dienen.
Verabschieden Sie sich wegen Ihres geistlichen Dienstes vorzeitig aus dem Berufsleben?
Nein, ich bleibe Anwalt und zwar weiterhin in Vollzeit. Als Gebietssiebziger bin ich ehrenamtlich tätig. Es ist außerdem ein Amt auf Zeit. Ich kann davon ausgehen, dieses Amt nur einige Jahre auszuüben, um mich danach an anderer Stelle in unserer Kirche zu engagieren - vielleicht zum Beispiel als Sonntagsschullehrer für die Kinder in unserer lokalen Kirchengemeinde oder als Betreuer von Senioren.
Sie sind fünffacher Vater. Wie bringen Sie Beruf, kirchliches Amt und Familie unter einen Hut?
Das ist tatsächlich nicht immer einfach und erfordert beständige Aufmerksamkeit und Flexibilität. Eine Herausforderung, die viele engagierte Menschen kennen. Wir bekommen aber auch sehr viel Unterstützung. Meine liebe Frau Margret und ich sind ein echtes Team in allen Belangen, unterstützen uns gegenseitig und schaffen füreinander Freiräume, auch und insbesondere für Zeit mit jedem unserer Kinder. Disziplin und der Blick für das wirklich Wichtige sind vonnöten und die Fähigkeit, manchmal auch "nein" zu sagen. Zudem hilft eine gesunder Sinn für Humor und Freude an dem, was man tut. Mir bereitet der Dienst für meine Mitmenschen große Freude und ist ein wunderbarer Ausgleich zu den doch häufig sehr einseitigen Prägungen in der Geschäftswelt, in der ich mich beruflich sonst bewege.
Vielen Dank für das Gespräch.